Kreuels, Hans-Udo: Robert Schumann / Adelbert von Chamisso: Frauenliebe und -leben. Interpretation und Analyse – Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang, 2015. – 127 S.
ISBN 978-3-631-66008-9 : € 27,95 (kt.; auch als e-book)
Hans-Udo Kreuels beabsichtigt in diesem Buch, den romantischen Liederzyklus über Frauen-Liebe und Leben (so die Schreibweise, die Dichter und Komponist benutzen!), den Adelbert von Chamisso 1829 dichtete und Robert Schumann als Opus 42 elf Jahre später vertonte, gegen seit langem erhobene Vorwürfe zu verteidigen. Er geht in der von ihm versuchten Rettung dieses Werks aber nicht weit genug. So lässt er die Behauptung, der Dichter Chamisso habe 1829 das unterwürfige Weib verherrlichen wollen, einfach gelten und kommt wie auch Chamissos Kritiker nicht auf die Idee, dass literarische, in lyrischer Form einer Frau in den Mund gelegte Worte, mit denen sie ihre Weise zu lieben und zu leben schildert, nicht unbedingt affirmativ gemeint sein müssen. Seit wann sind Rollengedichte 1:1 umgesetzte Bekenntnisse eines Dichters? Der heutzutage weit verbreiteten Haltung gegenüber Chamisso/Schumanns Frauenliebe und -leben: die Musik ja, den Text bitte nicht, müsste man ganz anders begegnen, denn die Musik Schumanns ist ohne ihren Text nicht zu haben und sie ist deswegen so gut, weil schon der Text es auch ist. Sonst wäre Schumanns stets und auch hier gültiges Programm, durch seine Musik einem Gedicht „mit seinen kleinsten Zügen im feineren musikalischen Stoffe nachzuwirken“, hinfällig. Sicher hat Schumann Akzente verschoben, er hat aber nicht aus einem peinlichen frauenfeindlichen Gedicht eines biedermeierlichen Chauvis ein humanistisches Schicksalsgedicht einer leidenden Frau gemacht, wie Kreuels, um Schumanns Vertonung zu veredeln, andeutet.
Sicher war der Dichter Chamisso im realen Leben als Familienvater ein Feind der Frauenemanzipation, aber als sozial aufgeklärter Liberaler hatte er sehr wohl einen Blick auch für das Leid von Frauen, und es gibt auch entsprechend andere weibliche Rollengedichte von ihm. Er könnte demnach die von ihm gedichteten Worte einer einfachen, aber romantisch fühlenden Frau, die das sanfte Joch der Ehe und ihre Demut dem geliebten Mann gegenüber besingt, ihre leibliche Liebeslust und Mutterschaft verherrlicht, nicht nur unkritisch betrachtet und gemeint haben. Als er sich im Jahr 1819 als fast 40-jähriger krisengeschüttelter Dichter, Weltumsegler und Botaniker entschloss, eine 18-Jährige zu heiraten („nie hatte man einen seligeren Bräutigam gesehen, mit verklärtem Ausdruck in dem Gesicht“, schrieb damals sein Freund Hitzig, der Ziehvater seiner Braut), spielten romantische Männerliebe und -leben(splanung) eine gewisse Rolle. Als er nach 10 Jahren Ehe mit seiner Frau Antonie seinen Zyklus über Frauenliebe und -leben schrieb, war die Liebe auch in seiner Ehe durch den Alltag schon etwas abgeschwächt, und er hätte seiner eigenen Frau solche Worte wohl nicht mehr in den Mund zu legen gewagt. Also war sein Gedicht nur Abbild einer zeitbedingten Atmosphäre und war es eine ästhetische Illusion, eine Frau solche (Männer)phantasien aussprechen zu lassen. In dem Gedichtzyklus ist es am Schluss die Frau, deren ganz dem Manne gewidmetes Leben nach dessen Tod leer und sinnlos wird. In Chamissos weiterem realen Leben war es dann übrigens seine immer noch von ihm geliebte Frau, die ihm den „ersten Schmerz versetzte, der aber traf“: sie schlief „den Todesschlaf“ und er war jener, dessen Welt leer war und der „nicht mehr lebend“ war, wie es im 8. Lied des Zyklus heißt. Schade, dass Kreuels diese einfachen Informationen aus der Biografie Chamissos nicht gibt.
Was Schumann bewog, im Jahr 1840, unmittelbar nach dem juristischen Sieg über den Vater seiner Braut Clara Wieck, der dem Paar den Weg in die Ehe öffnete, ausgerechnet Chamissos über zehn Jahre alten Gedichtzyklus mit den euphorischen Worten einer liebenden, treuen und dienenden Gattin zu vertonen, ahnte er wahrscheinlich selber nur instinktiv. Vielleicht mochte es sein Wunschdenken gewesen sein, das er in Claras angebliche Haltung ihm gegenüber hinein projizierte, ein objektives Komponieren eines allgemein beliebten Stoffes (Chamissos Zyklus war in den 1830er Jahren schon des Öfteren, auch von Carl Loewe, vertont worden) ohne subjektive Beimischung wird es wohl eher nicht gewesen sein – so viel zur von Kreuels aufgeworfenen Frage von „Schumanns Empfänglichkeit für Chamissos Vorlage“.
Das Buch von Kreuels ist schlecht komponiert, redundant und teilweise in schlechtem Stil geschrieben. Man sollte sich entscheiden können, ob es nun (um nur ein Beispiel für viele derartige zusammengesetzte Wörter zu geben, die Kreuels liebt) nach Duden oder nach Kreuels heißen soll: System immanent, systemimmanent oder gar Systemimmanent, welch letztere Schreibweise Kreuels bevorzugt, aber nicht konsequent durchhält. Vereinzelte treffende poetologische und musiktheoretische Interpretationen und Analysen sind in einem Wust von apologetischem Gerede verpackt, das auch noch mit auffällig vielen einfachen und doppelten Ausrufezeichen gespickt sind. „Farbgrundierung“ von Musik durch verschiedene Tonarten gibt es seit der Einführung der gleichschwebenden Temperatur, also lange vor Schumann, (leider) nicht mehr. Trotzdem ist die Bedeutung von Tonartenwechseln, von Modulationsgängen nicht unerheblich, aber der Toncharakter oder die Klangfarbe von Dur bleibt seit ca. Mitte des 18. Jahrhunderts gleich, egal auf welcher Stufe der Tonskala man dieses Tongeschlecht nun ansetzt, es klingt nur höher oder tiefer. Ein erheblicher Mangel an zu vielen der dankbar zahlreichen Notenbeispiele ist, dass sie ohne Vorzeichen der Tonart abgedruckt sind, sodass man zurückblättern oder sich noch einmal vergewissern muss, in welcher Tonart man sich gerade befindet – denn so viel vorzeichenloses C-Dur oder a-Moll gibt es in Schumanns Werk nicht.
Das Buch des Komponisten, Pianisten und Musikschriftstellers, der auch vortragender und Konzerte moderierender Weise durchs Land reist, ist sicherlich gut gemeint und stellenweise auch gut gemacht und gewährt Einsichten in die Problematik des behandelten Werkes, es ist ihr aber nicht gewachsen. Vor allem ist es dem negativen öffentlichen Diskurs, einer Ansammlung von unhistorischen und unsachlichen Vorurteilen nicht gewachsen und kann den pejorativen Nimbus, den v. a. Chamissos Dichtung in Deutschland genießt, nicht wirklich entkräften. Dazu hätte der Autor auf weniger Seiten eine entschiedenere Position entwickeln müssen.
Berlin, 01.08.2015
Peter Sühring