Ennio Morricone / Hrsg. von Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moormann und Willem Strank. – München: Edition Text und Kritik, 2014. 169 S.: Abb., Notenbsp. (FilmMusik ; 1)
ISBN 978-3-86916-274-4 : € 27,00 (kart.)
Martin Scorsese. Die Musikalität der Bilder / Hrsg. von Guido Heldt, Tarek Krohn, Peter Moorann und Willem Strank. – München: Edition Text und Kritik, 2015. 128 S.: Abb., Notenbsp. (FilmMusik ; 2)
ISBN 978-3-86916-359-8 : € 25,00 (kart.)
Es ist heute fast schon selbstverständlich, dass bei Besprechungen von neuen Filmen der Soundtrack – also die aus musikalischen, sprachlichen und geräuschhaften Anteilen zusammengesetzte akustische Schicht – mit keinem Wort gewürdigt wird. Das wesentliche Sinnesorgan der Filmkritiker – und auch der Mehrzahl der Rezipienten – scheint das Auge zu sein; das Ohr ist zwar beteiligt, wirkt aber gleichsam nur unbewusst oder unbemerkt bei der Verarbeitung der filmischen Information mit. Dabei sind viele Filme genauso akustische wie filmische Meisterwerke und verdienen auch eine konzentrierte auditive Zuwendung, um die Intentionen und die Meisterschaft ihrer Regisseure richtig würdigen zu können.
Eine neue Buchreihe des Münchner Verlags edition + kritik will nun die Bereiche der Musik und des Films (in dieser Gewichtung), die beide als separate Themenfelder in der Veröffentlichungspolitik des Hauses schon immer eine wesentliche Rolle gespielt haben, in einer neuen Form zusammenführen, die über die geläufige Thematik ,Filmmusik‘ hinausgeht: Die Reihe dient gemäß dem Vorwort der Herausgeber „als Podium für den Dialog zwischen Musik- und Filmwissenschaftlern (und Forschern, die sich dem Thema aus anderen Blickwinkeln nähern) und bietet Raum für analytische, ästhetische, historische oder soziologische Zugänge… ,Musik und Film‘ meint nicht nur Filmmusik; das Verhältnis der beiden Künste ist nicht eines Subordination des einen unter die andere, sondern der vielfältigen Durchdringung. Vom Blockbuster-Soundtrack bis zur experimentellen Multimedia-Arbeit und von der klassischen musikalischen oder filmologischen Analyse bis zur Diskussion von Musik als Teil des Sounddesigns eines Filmes soll alles möglich sein, auch wenn die Integration unverbundener disziplinärer Perspektiven zu einer übergreifenden Filmmusikforschung die Zielvorgabe ist. Entsprechend werden die Bände der Reihe ihren Schwerpunkt mal in eher an der Musik orientierten Themen und mal eher auf der Seite der Filme finden“.
Verdienstvoll ist dieses Projekt umso mehr, als es im deutschsprachigen Raum (noch) keine Zeitschrift zu diesem Sujet gibt und viele der zentralen Publikationen aus dem angloamerikanischen Sprachraum kommen und sich wie auch die deutschsprachigen Arbeiten zumeist an Musikinteressierte und weniger an Cinephile richten. Es besteht jetzt also zumindest eine gewisse Chance, dass nicht wie bislang nur die Musikwelt von der Filmmusik ernsthaft Notiz nimmt, sondern dass sich auch Filmwissenschaftler und -liebhaber mit der akustischen Schicht in ihrer ästhetischen Reichhaltigkeit, ihrer essentiellen Aufgabe und ihren sinntragenden Funktionen für den Film auseinandersetzen.
Die ersten beiden Ausgaben veranschaulichen das Konzept der Reihe exemplarisch, indem das eine Mal ein Komponist von Filmmusik, das andere Mal ein Regisseur im Mittelpunkt der Publikation steht. Nicht nur, dass die Herausgeber in beiden Fällen bestrebt sind, dem Untersuchungsgegenstand in seiner ganzen Breite – soweit möglich – gerecht zu werden; es wird auch deutlich, wie notwendig und ergiebig die Verbindung der musikologischen mit der filmwissenschaftlichen Perspektive ist – umso mehr, als beide Disziplinen sich hinsichtlich Systemcharakter und Theoriefähigkeit signifikant unterscheiden.
Hervorgehoben seien in dem Ennio Morricone gewidmeten Band insbesondere die Aufsätze von Stefan Drees zur Zusammenarbeit des Komponisten mit dem Regisseur Sergio Leone, Tim Summers auf die Gattung der Oper zurückgreifende Lesart des Leone-Films C’era una volta il West oder die Ausführungen von Christiane Hausmann und Franco Sciannameo zu Morricones Kompositionen für den Konzertsaal. Die zweite Ausgabe zeigt durchgängig, was man in Scorseses Filmen alles verpasst, verlässt man sich nur auf seine Augen: Die Beiträge von Jonathan Godsall (zur präexistenten Musik bei Scorsese), Robert Rabenalt (zur wichtigen Rolle von Robbie Robertson bei der Erarbeitung der musikalischen Schicht in zahlreichen Filmen des Regisseurs), Ingo Lehmann (zur „Spur der Oper“), Eckhard Pabst (zum Film Taxi Driver mit der legendären Musik von Bernard Herrmann) und Willem Strank (zur Musik In the Wolf of Wall Street) belegen zugleich, wie zentral die detaillierte Ausgestaltung der musikalischen Schicht bei Scorsese ist und welche tragende Rolle ihr im Aufbau seiner Filme zukommt.
Die dilettantische Übersetzung der italienischen Beiträge des Morricone-Bandes, die nicht nur Neologismen enthält („desweilen“, S. 46), sondern auch stellenweise zu unverständlichen Sätzen führt („Aber man müsste auch bedenken, dass es in einigen ,absoluten’ Stücken mehr ein Echo dieses Kinos gibt, das man…“, S. 16), sei nur der kritischen Vollständigkeit erwähnt, soll aber keineswegs von der Lektüre dieser Publikationen abhalten. Es bleibt zu hoffen, dass auch viele Filmkritiker sich mit dieser Reihe befassen, der ein rasches Anwachsen zu wünschen ist. Möglicherweise lesen wir dann bald Besprechungen, die Filme als integrale Kunstobjekte, als gleichsam mehrdimensionale ästhetische Gebilde würdigen und die auch für die Ohren, und nicht nur für die Augen, ihrer Leser geschrieben sind.
Markus Bandur
Berlin, 23.05.2015