Baur, Eva Gesine: Chopin oder die Sehnsucht. Eine Biographie. – München: C.H.Beck, 2015. – 565 S. : 27 s/w Abb.
ISBN 978-3-406-67756-4 : € 16,95 (brosch) (C.H.Beck Paperback; 6198)
Was der Verlag C.H. Beck als Neuerscheinung ankündigt, ist auf den zweiten Blick gar nicht neu: Gesine Baurs Chopin-Biographie erschien bereits zum Chopin-Jahr 2010. Inhaltlich dürfte allerdings nicht viel neu sein, denn es handelt sich um die weitaus handlichere Paperback-Ausgabe der 3., durchgesehenen Ausgabe. Wie auch immer, wer etwas über Chopin wissen will, wird hier fündig. Wer Biographien liest, wird Eva Gesine Baur kennen. Sie studierte Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Psychologie und Musikwissenschaften und hat bereits mehrere biographische Sachbücher aus diesen Bereichen publiziert. Auch ihre Romane, die sie unter dem Pseudonym Lea Singer schreibt haben häufig biographischen Hintergrund wie z. B. der Roman Konzert für die linke Hand über den berühmten Konzertpianisten Paul Wittgenstein. Ihre Chopin-Biographie beschreibt das Leben des Komponisten en detail, und es ist eine Wonne ist, sie zu lesen.
„Bei kaum einem anderen Komponisten der Musikgeschichte ist so oft von der Seele die Rede wie bei Chopin.“ (Postludium, S. 541) In der Tat, die Seele Chopins durchzieht dieses Buch wie nichts anderes. Eva Gesine Baur versteht es, den Leser stilistisch in Chopins Leben hineinzuziehen als sei er dabei gewesen. Jedes der 26 Kapitel atmet Chopins Geist, so gut, wie es eben nachzuvollziehen ist. Viele Briefe und Quellen von und über Chopin sind verloren, daher muss die Autorin mit den verbliebenen Quellen arbeiten. Präzise recherchiert und ausgewertet, bewertet und dokumentiert bilden sie die Grundlage für eine detaillierte erzählerisch grandiose Biographie über Fryderyk Chopin, die mindestens im deutschsprachigen Raum zu den besten zählt.
Zeitlebens war Chopin sensibel, kränkelnd, melancholisch und voller Sehnsucht. Sehnsucht nach seiner Familie, nach Liebe, nach der Heimat, nach dem Frühling, nach Gesundheit. Ob bei Kuraufenthalten, bei Konzert- oder anderen Reisen sowie später in Paris – Chopin trug seine polnische Heimat immer im Herzen; das hören wir in seiner Musik und lesen es in seinen Briefen. Seine Schwester Ludwika fleht er an, aus Warschau nach Paris zukommen als er bereits sterbenskrank in seiner Wohnung am Place Vendome liegt mit der Begründung, einzig ihre Anwesenheit könne ihn noch heilen. Umschwärmt von zahlreichen Frauen war er bereits zu Studienzeiten, jedoch sehnte er sich offensichtlich nicht nach einer „gewöhnlichen“ Beziehung, wie sie andere führten, zumindest blieb er eine Weile lang allein. Vielleicht erklärt sich daraus die rätselhafte, fast zehn Jahre andauernde Beziehung zur Frauenrechtlerin und Schriftstellerin George Sand.
Mit zahlreichen Quellenzitaten angereichter sprudelt die Erzählung in allen Facetten. Der Leser findet sich sehr schnell im 19. Jahrhundert wieder, ist Zuhörer in den Salons und Konzerten, ist Schüler(in) neben Chopin am Klavier, nimmt teil an Reisen und Kuraufenthalten, bekommt Einblick in Chopins Briefwechsel und ist schließlich einer von vielen, die am Sterbebett des Komponisten stehen. Das Buch hält, was der Klappentext verspricht: „Eva Gesine Baur portraitiert Chopin in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und eröffnet einen von Klischees unverstellten Zugang zu seinem Leben und seiner Musik.“
Inhaltsverzeichnis
Barbara Wolf
Heidelberg,01.06.2015