Reinelt, Jan: Die goldene Klarinette. Geschichten aus einem Musikerleben. – Würzburg: Eigenverlag, 2014. – 208 S.: zahlr. Abb.
[Keine ISBN] : € 10,00 (Softcover) (zu bestellen unter www.janreinelt.de)
Als der Volksmund in grauer Reformationsvorzeit mit dem Ausspruch „Wes’ Brot ich ess’, des Lied ich sing’“ die Abhängigkeit des Menschen von seinem Dienst- und Landesherrn beschrieb, muss er an Jan Reinelt gedacht haben. In strenger Missachtung des Zeitkontinuums selbstverständlich, denn jener Jan Reinelt kann als heutiger Zeitgenosse durchaus noch singen und spielen. Mit dem vorliegenden Band hat der Pianist zudem erstmalig literarisches Terrain betreten und gewährt einen freizügigen Blick auf das eingangs erwähnte Kräfteverhältnis.
Reinelt befindet sich in dem typischen Spannungsfeld zwischen Talent, Ambitionen und der lästigen Notwendigkeit zum Überleben, das den Alltag so vieler freischaffender Künstler prägt. Tägliches Brot verdient der Autor als Musiklehrer und Lohnmusiker. So gehörte er zur Tour-Band von Florian Silbereisen, ist aber häufiger als „Tanzmugger“ verantwortlich für die „Umrahmung privater Feierlichkeiten“ (S. 10). Seine Erfahrungen, die zumeist amüsanter Natur sind, doch bisweilen auch als demütigend bezeichnet werden können, hat er nun im Eigenverlag veröffentlicht.
In rund 25 Kurzgeschichten blicken die Leser hinter die Fassade des fröhlichen Tanzmusikers, der mit Schneewalzer, Schlagerseligkeit und dem American Songbook für die Klangtapete bei Familienfeiern sorgt. Sie leiden mit, wenn während einer Beerdigung im hitzigen Hochsommer das Wort aus dem Johannesevangelium „Er riecht schon“, wahr wird; sie lachen mit, wenn Sängerinnen unter der musikalischen Grundvoraussetzung „Timing“ eine „japanische Vorspeise“ verstehen (S. 70); sie ärgern sich mit, wenn Gastgeber nach dem Genuss eines Fünf-Gänge-Menüs den Musikern lauwarme Frikadellen zur Stärkung anbieten. Aber keine Angst: Eine dramatische Anklage des abhängig Beschäftigten an die Ungerechtigkeit des spätkapitalistischen Wirtschaftssystems liefert Reinelt nicht. Vielmehr schmunzelt er über Zumutungen und Strapazen, über die Unverschämtheiten derer, die in völliger Unkenntnis über die musikalische Darbietung für dieselbe bezahlen.
Reinelts Schreibduktus ist flott-flapsig (um diese schöne Alliteration auch einmal verwendet zu haben) und er schreckt vor verbalen Powerchords nicht zurück. Die literarische Linienführung mag nicht so brillant sein wie ein perlender Zweiunddreißigstel-Lauf auf dem Klavier. Langeweile kommt trotzdem nie auf, ist Reinelt doch ein begabter Geschichtenerzähler, dem man gerne auch in natura bei einem Glas Eschendorfer Lump zuhören würde.
Dass die Anekdoten im wahren Leben beheimatet sind, kann jeder bezeugen, der – als Profi oder Amateur – in dieses Metier hineingeschnuppert hat. Zustimmendes Kopfnicken, unterbrochen von stoßartigem Kichern, wird daher die Lektüre begleiten. Nicht zuletzt deshalb, weil Reinelt einen charmanten Sinn für das Lokalkolorit beweist. Beheimatet in der unterfränkischen Mainmetropole Würzburg, berücksichtigt der Autor den heimischen Dialekt und zitiert oft in O-Tönen. Dabei wird er nie verletzend, weder seinen Auftraggebern gegenüber noch seinen Musikschülern, mögen sie auch noch so unwissend oder untalentiert sein. Ein deftiger Humor und die Gabe der Selbstironie verhindern eine solche billige Abrechnung. Und schlussendlich ist die Antriebsfeder seines Wirkens immer präsent: Die Liebe zur Musik.
Michael Stapper
München, 10.03.2015