Music as Dream. Essays on Giacinto Scelsi / Hrsg. von Franco Sciannameo und Alessandra Carlotta Pellegrini. – Lanham [u.a.]: The Scarecrow Press, 2013. – XVII, 236 S.: s/w-Abb., Notenbeisp.
ISBN 978-0-8108-8424-3 : ₤ 51,95 (geb.; auch als e-Book erhältl.)
Die Auseinandersetzung mit dem Werk des Komponisten Scelsi und seiner Person wurde anfänglich lange Zeit im deutschen Sprachraum geführt, bevor sich dann auch französische und schließlich italienische Musikforscher daran beteiligten. Nachdem in den letzten Jahren verstärkt Musikwissenschaftler in den USA die Diskussion aufgenommen haben, war es jetzt an der Zeit, wichtige Texte der europäischen Scelsi-Forschung auf Englisch zugänglich zu machen. Das ist zweifellos auch für die deutsche Musikwissenschaft von Nutzen, wird doch die französische und italienische Forschungsliteratur in Deutschland im Allgemeinen nur von einer spezialisierten Minderheit zur Kenntnis genommen. So sind es vor allem die Übersetzungen von Beiträgen aus diesen Sprachen, die den vorliegenden Band für deutschsprachige Leser interessant machen.
Die Auswahl der elf Aufsätze ist aufschlussreich: Scelsi, von dem bislang kein Werk in seiner Handschrift nachgewiesen wurde und dessen Improvisationen von anderen Komponisten (insbesondere Vieri Tosatti) notenschriftlich entworfen und festgehalten wurden, erfuhr zwar kurz nach seinem Tod gerade wegen dieser Arbeitsweise eine gewisse Aufmerksamkeit. Allerdings war damals deutlich erkennbar, dass diese Diskussion, für die Tosattis zugespitzte Behauptung „Giacinto Scelsi – cʼest moi!“ die Schlagzeile lieferte, die Scelsi-Forschung eher unangenehm berührte und aus diesem Grund sehr schnell beendet wurde.
Diese Situation hat sich nun mit der Aufnahme der archivalischen und wissenschaftlichen Arbeit in der Fondazione Isabella Scelsi (Rom) vor einigen Jahren geändert. Der Umgang mit Scelsis Schaffen (und seiner häufig mystifizierenden Selbstdarstellung) ist dadurch nüchterner geworden. Die nun öffentlich zugänglichen Schallplatten und Tonbänder, mit denen der Komponist seine Improvisationen aufzeichnete, um diese dann von anderen Musikern ausarbeiten und notieren zu lassen, haben die Diskussionen um die Urheberschaft seiner Werke etwas beruhigt. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass diese überaus spannende Thematik, die einerseits das Problemfeld Komposition/Improvisation aufreißt und andererseits in das heikle Gebiet der Arbeitsteilung im musikalischen Bereich (wie es in funktionaler Musik längst Usus ist) führt, einen Großteil des Bandes (mit Beiträgen von Guido Zaccagnini, Friedrich Jaecker und Sandro Marrocu) einnimmt. Zu erwarten war auch, dass die Positionen nun sehr viel abgeklärter, aber auch differenzierter ausfallen als kurz nach Scelsis Tod, obwohl eine definitive Klärung der Arbeitsverfahren gerade hinsichtlich der Orchesterwerke bzw. der kreativen Anteile anderer an der ausgefeilten Instrumentation von Scelsis Partituren noch aussteht.
Einen weiteren Schwerpunkt in der Zusammenstellung der Aufsätze bildet die Aufarbeitung von Scelsis Beziehung zu dem Wiener Komponisten Walt(h)er Klein, den Scelsi neben Giacinto Sallustio als einen seiner Lehrer würdigte. In den Fokus der auf mehrere Beiträge verteilten Darstellung von Kleins Lebensweg, der ihn nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland (mit Scelsis Hilfe) bis in die USA führte, rückt dabei zum Einen die im Briefwechsel dokumentierte Bemühung Scelsis, sich von Klein in bestimmten kompositorischen Techniken wie der Zwölftonkomposition unterrichten zu lassen. Zum Anderen aber wird aber auch hier erkennbar, wie Scelsi schon 1941 musikalisches „Rohmaterial“ an Klein übermittelte mit der Bitte, daraus ein Werk – eine „Toccata“ – zu „machen“.
Die weiteren Beiträge aus italienischen und französischen Publikationen (zu Scelsis musiktheoretischen Texten, zu seinem Klavierwerk sowie zu den Fassungen von Rotativa) sind ebenfalls sehr gut ausgewählt; Biblio- und Diskographie sind aktuell und informativ, ein Register beschließt den Band.
Markus Bandur
Berlin, 26.02.2014