Rietenauer, Erich: Alma, meine Liebe. Persönliche Erinnerungen an eine Legende. – Wien: Amalthea, 2008. – 288 S.: 94 s/w-Abb.
ISBN 978-3-85002-652-9 : € 22,95 (kart.)
Die lebendigen Erinnerungen Erich Rietenauers (*1924) ziehen den Leser unmittelbar in ihren Bann. In Lebensumstände hineingeboren, die mit dem Ende des 19. Jahrhunderts überwunden schienen und unwillkürlich an Charles Dickens erinnern, begegnet der achtjährige Knirps bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung der gewichtigen Alma Mahler-Werfel (1879–1964). Sie ist es, die ihn aus seiner peinlichen Lage befreit und ihm endlich die ersehnten Kinderschuhe Größe 32 überreicht. Parallel dazu führt ihn seine Tierliebe den Eltern Almas zu. Er wird für Manon Gropius, eine der Töchter Almas, zum jugendlichen Freund. Der Familie wird er zum treuen Burschi, der dabei sitzt, schweigt, hört, beobachtet und fotografiert. Er sammelt Autogramme von allen Größen der im Hause Werfel ein und aus gehenden Persönlichkeiten. Seine Beobachtungen und die Berichte Anna Molls, der Mutter Almas, hatte er schon als Kind minutiös aufgeschrieben. Diese Manuskripte gingen verloren, die Erinnerungen blieben. Gemeinsam mit Ida Gebauer, der getreuen Freundin Almas, erarbeitete sich der Autor das Thema in den 70er Jahren, doch erst im reifen Alter war die Zeit zur Niederschrift gekommen. Eine Fülle erstaunlichster Begegnungen, Begebenheiten und Einzelheiten aus dem intimen Bereich dieser berühmten Protagonisten versetzen den Leser immer wieder in Erstaunen. Tragisch die Umstände um die bestialische Krankheit und den viel zu frühen Tod der bildschönen Tochter Manon, genannt Mutzi. Ebenso schauerlich die Geschichte zum verschwiegenen Sohn Martin Gropius, von dem auch die Rez. noch nie etwas gehört hatte.
Die Liebe zu Alma Mahler-Werfel wird hier allerdings weniger deutlich als die zu Mutzi und sicherlich zu Anna Moll, die dem Knaben zur Großmutter und Vertrauten geworden ist. Wo die Familienmitglieder lieber ihren eigenen Interessen nachjagten, war es der kleine Erich, der sich der kranken und immer schwächer werdenden alten Dame widmete. Die Summe des Erzählten zeigt die eigentümliche Verstrickung des Autors mit der Familie Schindler-Moll-Gropius-Mahler-Werfel. Hier berichtet ein Kind, ohne jedoch auch die eigenen Interessen aus dem Auge zu verlieren. Der Fußball spielt eine große Rolle, ebenso das Fotoatelier des Onkels, und auch die durchlittene Militärzeit findet ihren Platz. Ohne jedes Pathos erzählt da einer, der dabei war, der aus eigener Anschauung den privaten Zuschnitt der Familie über viele Jahre und aus unmittelbarer Nähe miterlebt hat. Er erzählt viel, aber nicht zu viel. Er beschönigt nicht, er verherrlicht niemanden, er sagt, wie es war.
Ein interessantes Buch, leicht geschrieben und unbedingt empfehlenswert.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 362f.