Winkelmann-Liebert, Holger: Geiger Meier. Ein Finale furioso. – Norderstedt: Books on Demand, 2012. – 140 S.
ISBN 978-3-8482-5322-7 : € 12,80 (kart.)
Musizieren im Orchester bürdet dem Einzelnen ein verzwicktes Knäuel physischer und mentaler Komplikationen auf: punktgenaue Anpassung, Unterordnung, Tuchfühlung mit Pultnachbarn. So weiß auch die Öffentlichkeit, dass es subkutan nicht weniger menschelt als in anderen Zweckgemeinschaften. Mitunter tun sich Abgründe auf. Ein extremes Exempel, das trotz seiner artifiziellen Zuspitzung ins tragikomisch Pathologische nicht ohne Besorgnis an reale Konfliktfelder denken lässt, statuiert der langjährig im Klassikbetrieb erfahrene Notenbibliothekar der Hamburger Symphoniker, Holger Winkelmann-Liebert, an seinem novellistisch in nämlicher Metropole geplotteten Debütroman Geiger Meier.
Abgefärbt auf Diktion und Reflexionsniveau haben auch seine philosophischen Studien. Denn in einem simplen narrativen Grundgerüst seziert erlebte Rede facettenreich die innersten Winkel der allesamt traumatisierten, neurotisch angeschlagenen Psychobiographien von Meier & Co(ntrahenten).
Jener Tuttist am fünften Pult der ersten Violinen beim Landesorchester Nordmark e. V. erreicht die Altersgrenze, verdrängt zugleich jeden Gedanken ans Aufhören: Ohne seine Aushilfsdienste wird die eingeschworene Formation künftig nicht existieren können – denkt der degradierte Konzertmeister jedenfalls. Denn Hybris und Narzissmus machten ihn blind für pragmatische Einsichten und brandmarkten ihn zum Querulanten, menschlich wie musikalisch. Längst ist sich die Stimmgruppe, allen voran die vom Frauen- und Ausländerhasser Meier angewiderte Kollegin Picht, so gut wie einig: Weg mit ihm! Da hilft auch nicht das allseitige Menetekel: Er, der dem Alkohol und nach einem Eheflop auch dem Sex rigoros entsagte, stünde vor dem Aus.
Nur dem Leser öffnet sich eine Option des Mitfühlens: 1943 hatte der elterlich vernachlässigte Winfried von einem traurigen Nachbarn eine Geige bekommen und sich als Kind unterm Bombenhagel in eine bessere Welt hinein musiziert – so wirklichkeitsvergessen, dass sich der Erwachsene zwischenmenschlich mit ihr entzweite. Treibt ihn doch der messianische Wahn, wahrer Vollender einer nur papiernen Hinterlassenschaft der Bach, Beethoven und Mozart zu sein. Es bleiben vergebens: die Ausblicke seines einzigen Freundes auf Vorzüge des Rentnerdaseins, jedes Hoffen auf männlich-solidarische Protektion. In Verdichtung der psychosomatischen und halluzinativen Symptome erreicht das nur mit schal elegischem Beiklang zu genießende „Finale furioso“ Stretta und Agonie – gemessen am zuvor bittersüß-naturalistischen, intellektuell vergnüglichen Einstiegsduktus mit nun leicht irritierend existenzphilosophischer Pathetik: „und in der zufällig geworfenen glühenden Lava der Existenz verbrannte das Ich zu nichts, was es immer war.“ (S. 120) Vgl. vice versa den Abschiedsgruß der letzten Dramatis persona: „Meier, du Arschloch“. (S. 140)
Fine
Andreas Vollberg
Köln, 21.11.2013