Freyeisen, Astrid: Chanson für Edith. Das Leben des Norbert Glanzberg. – München: List (Ullstein), 2003. – 285 S.: zahlr. Photos s/w
ISBN 3-471-77561-7 : € 21,00 (geb.)
Hätte die Autorin ihrem Werk den Titel Das Leben des Norbert Glanzberg gegeben, kein Mensch hätte es gekauft. Durch die Wahl des Titels Chanson für Edith jedoch macht es beim Leser „klick“, Chanson assoziiert er nicht mit irgendeiner Edith, sondern mit der Piaf, und schon beginnt er neugierig mit der Lektüre.
1997 stieß die Autorin bei einer Würzburger Ausstellung über deutsche Emigranten in Frankreich auf den Namen Norbert Glanzberg, von dem es nur hieß, dass er „1982 wohnhaft in Neuilly-sur-Seine” gewesen sei. Neugierig geworden, ob dieser Mann noch lebte, ermittelte sie über die Auskunft die Telephonnummer, und siehe da: Der mittlerweile 87jährige war noch im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte, und das vorliegende Buch ist aufgrund vieler langer Besuche und Gespräche entstanden: Glanzberg, der Sohn polnischer Juden, ist 1911 mit einem Jahr nach Würzburg gekommen. Schon früh zeigte sich seine musikalische Begabung; er schmeißt die Schule, um als Korrepetitor an der Oper zu arbeiten. Sein musikalischer Weg führt ihn über Aachen nach Berlin, wo er schon bald als Filmkomponist Erfolg hatte. Mit kaum 21 Jahren gilt Glanzberg 1931 dort als die Entdeckung der Saison: Die Comedian Harmonists singen sein Hasch mich in Billy Wilders letztem deutschen Ufa-Film Der falsche Ehemann. Doch Anfang der 30er Jahre muss er vor den Nazis nach Frankreich fliehen, und so beginnt ein Leben, das bis 1944 geprägt ist von der ständigen Furcht vor der Entdeckung. Als Klavierspieler tingelt er durch Bars und Varietes, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Dabei lernt er Edith Piaf kennen, für die er einige ihrer größten Erfolge schreibt. Sie und ihre Freunde sind es auch, die ihn immer wieder vor den Nazis verstecken. Durch sie lernt er viele Künstler kennen, er geht z.B. unter falschem Namen mit dem berühmten Tino Rossi auf Tournee. Durch einen Denuntianten wird er dennoch gefasst und arretiert. Auch hier kommt er durch die Hilfe von Freunden wieder nach zwei Monaten frei und schlägt sich mehr schlecht als recht, immer am Rande des Hungertods, durch.
Nach dem Krieg komponiert er u.a. Filmmusiken und betreibt Kinos. Erst spät kehrt er zu seinen jüdischen Wurzeln und zur ernsten Musik zurück. Er komponiert Orchesterwerke, darunter die Suite Jiddisch für zwei Klaviere, mit Liedern nach Texten der Anthologie Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Diese Lieder wurden 1991 zum erstenmal durch Gisela May in Deutschland aufgeführt. Nach der Entdeckung durch die Autorin besucht er 1998 zum erstenmal wieder seine Heimatstadt; Freyeisen hat ein Konzert mit seinen Werken organisiert; das Konzert mit seinen Liedern, interpretiert von Hanna Schygulla, ist ein voller Erfolg, für die Zugaben setzt er sich selbst ans Klavier und begleitet die Schygulla. Weitere Konzerte in seiner Heimatstadt folgen, und im Jahr 2000 folgt die Uraufführung der Orchesterfassung seiner Suite Jiddisch, die an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gespielt wird. Am zweiten Abend erhält er den Kulturpreis der Stadt Würzburg – eine späte Genugtuung. Am 25.02.2001 stirbt Norbert Glanzberg. Drei Monate später dirigierte sein Freund Fred Chaslin (der die Suite orchestriert hatte) die Suite Jiddisch in Jerusalem „anlässlich der Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag des legendären Jerusalemer Bürgermeisters Teddy Kollek. Das Konzert wurde im Fernsehen in ganz Europa übertragen. Auch das Berliner Jugendorchester spielte an einem sonnigen Herbsttag, dem Tag der Deutschen Einheit, die Suite. Die Bühne stand direkt hinter dem Reichstag. Der Kreis hatte sich geschlossen (S. 278)“.
Das Buch enthält eine Reihe von Schwarzweiß-Photos und eine dürftige Werkauswahl; hier hätten wenigstens die Textdichter der Chansons genannt werden müssen. Die Biographie erzählt eins der unzähligen jüdischen (Künstler-) Schicksale, wobei der Schwerpunkt in der Schilderung der Jahre 1932-35 liegt, und ein vergessenes Stück Musikgeschichte.
Jutta Lambrecht
Zuerst veröffentlicht in FM 25 (2004)