Widmaier, Tobias: Der Deutsche Musikalienleihhandel. Funktion, Bedeutung und Topographie einer Form gewerblicher Musikaliendistribution vom späten 18. bis frühen 20. Jahrhundert. – Saarbrücken: Pfau, 1998. – 276 S.
ISBN 3-930735-99-7
Bei der vorliegenden Veröffentlichung handelt es sich um eine erweiterte Promotion zum Thema Leihhandel, die in wissenschaftlich fundierter Weise auf alle Entwicklungsschritte, Überlegungen zu späteren Veränderungen und Ausweitungen des Leihhandels, sowie soziologische Aspekte des Themas eingeht. Auf den ersten Blick verwundert es, daß es zu diesem Thema tatsächlich so viel zu sagen gibt. Kurzgefaßt läßt sich sagen, daß aus der Entwicklung allgemeiner Leihbibliotheken, die für den der Kultur verschriebenen Konsumenten nur allzu oft auf der Schundromanschiene lief, auch der Mechanismus der Verleihens von Musikalien etablierte. Gab es hie den Schundroman, gab es da sehr schnell vor allem ‘Schund’-Musik. Der Autor nennt den entsprechenden Abschnitt seiner Veröffentlichung unter Punkt 12.2 denn auch ‘Schund und öffentliche Musikbibliothek’. Es war der fünfte Kongreß des Musikpädagogischen Verbandes, der im Jahre 1911 in Berlin abgehalten wurde, der den ‘Kampf gegen die musikalische Schundliteratur zu einem seiner Hauptbehandlungspunkte’ erhob. Besonders aktiv warf sich der Musikschriftsteller und Kulturphilosoph Paul Marsop ins Zeug, der die Gründung einer musikalischen Volksbibliothek vorantrieb, die bereits im Jahre 1905 in München eröffnet werden konnte und in der Folge zum Vorbild für andere entsprechende Einrichtungen wurde.
Um allen Entwicklungsschritten den ihnen gebührenden Raum in der Darstellung zu geben, porträtiert der Autor die Persönlichkeiten Carl Friedrich Rellstab, Johann Wilhelm und Sophie Häßler, Hans Georg Nägeli und das gescheiterte Projekt von Heinrich Philip Bossler, die alle repräsentativ sind für den Beginn der Entwicklung zum Musikalienleihhandel.
In seiner Darstellung der bürgerlichen Musikkultur (Hamburg, 1935) erwähnt Eberhard Preußner u.a. auch die wie Pilze aus dem Boden schießenden musikalischen Leihstellen. Widmaier geht in dem Kapitel ‘Topographie des Musikalienleihhandels zu Ende des 18. und im frühen 19. Jahrhundert’ auf die Entwicklung dieser neuen Einrichtungen an unterschiedlichen Orten in Deutschland genauer ein. Der Aufschwung dieser neuen Entwicklung zu einem organisierten Berufsstand, der Vergleich mit entsprechenden Einrichtungen in anderen Ländern, Publikum, Nutzungsfrequenzen und Gebührenordnungen bis hin zur Blütezeit dieser Einrichtungen beschreibt der Autor alle nur erdenklichen Aspekte dieses Bereiches dezidiert. Das Buch endet mit der Situation nach dem zweiten Weltkrieg. Der Veröffentlichung sind diverse wertvolle Aufstellungen beigegeben, sowie eine Liste der noch vorhandenen Kataloge von Musikalien-Leihinstituten und verschiedene Register.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FM 1999