Lily Brett: Lola Bensky [Rebecca Berg]

Brett, Lily: Lola Bensky. Roman. Aus dem Englischen von Brigitte Heinrich. – Berlin: Suhrkamp, 2012 – 302 S.
ISBN 978-3-518-42330-1 : € 19,95 (geb.)
Brett, Lily: Lola Bensky. Gekürzte Lesung / Sprecherin: Magdalene Artelt. 4 CDs. – Berlin: Random House Audio, 2012 – 280 Min.
ISBN 978-3-8371-1702-8 : € 19,99 [auch als Download]

Hier kommt die dicke Lola. Und diese Lola fühlt sich nicht gerade fesch. Denn neben ihrem gewichtigen Problem hat Lola permanent mit der Vergangenheit zu kämpfen, genauer gesagt mit der ihrer Eltern: polnische Juden, die Auschwitz überlebten und von den schrecklichen Erlebnissen im Lager traumatisiert sind. Im Großen und Ganzen beschreibt die 1946 in Deutschland geborene und in Australien aufgewachsene Autorin Lily Brett in ihrem Roman sowohl bestürzend als amüsant nichts anderes als ihre eigene Lebensgeschichte. Als Reporterin hat Brett, die heute in New York lebt, in der Hippie-Ära Rockmusikhelden von Rang und Namen getroffen. Die gewonnenen Eindrücke verarbeitet sie in Lola Bensky, wenngleich nicht immer durchschimmert, was davon wirklich autobiografisch ist oder sein könnte. Das Schöne jedoch: Wir dürfen mit ihr durch dick und dünn gehen.
Eigentlich geht es ihr gar nicht so schlecht. Wir schreiben die wilden Sechziger und Lola Bensky, zarte 19 Jahre alt, trifft sich mit Jim Morrison, Jimi Hendrix, Mick Jagger, Brian Jones, Cher und anderen künftig erfolgreichen Stars zum Interview. Die in der Rock- und Popmusik beheimatete Musikjournalistin kann ihrem jeweiligen Gegenüber mit ihrer unkomplizierten, teils tapsigen Art so manch kleines Geheimnis entlocken. Die Holocaust-Vergangenheit ihrer jüdischen Familie kommt in den Gesprächen öfter als nur einmal auf den Tisch. Schnell wird dem Leser klar, dass Lolas Gewichtsproblem damit zusammenhängt. Verzweifelt hüpft sie von einer Diät zur nächsten, scheinbar erfolglos.
Genauso lebhaft springt Autorin Brett zwischen den Zeitebenen, den Lebensabschnitten Lolas, hin und her. Der Ambitus erstreckt sich von ihrer Kindheit bis zur reifen Frau im Alter von 63. Abschnitte, in denen die Protagonistin mühsam versucht, sich selbst zu finden. Eine gescheiterte Ehe mit einem Mann, den sie nüchtern „Mr. Ex-Rockstar“ nennt, und einen neuen Lover mit Namen „Mr. Someone Else“ später scheint Lola endlich angekommen zu sein. Oder doch nicht? Lola hat Schlafstörungen und flüchtet sich in die fiktive Welt ihrer jüdischen Roman-Hauptfigur „Schlomo“. Hier schreibt nun die Autorin in der Autorin – erzählerisch ein durchaus spannender Effekt.
Lily Brett verwendet durchweg eine eher schlichte Sprache. Fast banal schildert sie die Geschehnisse und Gedanken Lolas und untermauert so das Bild einer kindlich anmutenden Frau, die in einer ihr gar fremden Welt umherirrt. Mit Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll hat Lola im Gegensatz zu ihren Interviewpartnern nur wenig am Hut, fühlt sich verloren. Obwohl sie trotz ihrer Figur Komplimente für ihre hübsches Aussehen bekommt, lehnt sie ihr Selbst ab. Stellenweise liest sich der Roman wie ein Diättagebuch. Das wiederum erscheint jedoch auch deswegen geradezu grotesk, als es immer wieder von der schrecklichen Erfahrung ihrer Eltern überschattet wird. Diese haben das Konzentrationslager überlebt, aber leiden immer noch und können das Erlebte weder verdrängen noch vergessen. Und Lola leidet mit ihnen, fühlt sich schuldig. Dass sie ihr Leben schließlich doch irgendwie meistern kann, lässt aufatmen. Denn nun – viele Jahrzehnte später – ist Lola Bensky eine schlanke, erfolgreiche Frau geworden. Eine selbstbewusste Frau, die beruflich sowie in einer neuen Partnerschaft ihr Glück gefunden zu haben scheint und in New York als Schriftstellerin arbeitet – eigentlich genau wie Lily Brett, oder?
Das gleichnamige Hörbuch, erschienen bei Random House Audio bringt die geschilderten Extreme des Buchs akustisch zum Ausdruck. Sprecherin Magdalene Artelt schafft es exzellent, sich in Lola Bensky hineinzuversetzen und gleichzeitig den nötigen Abstand zu der Protagonistin und der mit ihr verknüpften Geschichte zu wahren. Die wohltuende Stimme der ausgebildeten Theater- und Fernsehschauspielerin sowie Synchronsprecherin ist genau das Richtige für einen gemütlichen und zugleich nachdenklichen Abend auf dem Sofa. Schnell gewöhnt man sich auch an das teilweise etwas intensive Einatmen, das das Vorgelesene immerhin lebhafter wirken lässt als es das Buch vielleicht vermitteln kann. Eine Erkenntnis bleibt jedoch auch hier eher verborgen. Fiktion und Fakten verschwimmen ineinander, so dass die bewährte Reihenfolge „erst lesen, dann hören“ keine schlechte Wahl ist. Mit einer Spieldauer von 280 Minuten, verteilt auf 4 CDs sollte man allerdings schon ein klein wenig mehr Zeit mitbringen. Wer eine umfangreiche Plattensammlung besitzt, kann sich vorher mit der Musik der im Buch vorkommenden Stars einstimmen.

Rebecca Berg
Frankfurt a. M., 21.07.2013

 

 

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