Der musikalisch modellierte Mann. Interkulturelle und interdisziplinäre Männlichkeitsstudien zur Oper und Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts [Freia Hoffmann]

Der musikalisch modellierte Mann. Interkulturelle und interdisziplinäre Männlichkeitsstudien zur Oper und Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts / Hrsg. von Barbara Hindinger u. Ester Saletta. – Wien: Praesens, 2012. – 425 S.: Notenbeisp.
ISBN 978-3-7069-0695-1: € 37,00

In der Vergangenheit hat sich die Erforschung von Männerrollen in der Oper vorzugsweise auf die starken, dominanten, selbstherrlichen und rücksichtslosen Figuren bezogen, die – so die bisher vorherrschende Meinung – mit einem begrenzten musikalischen Vokabular von großen Intervallen, aufsteigenden Fanfaren, marschartigen Rhythmen und großartiger Orchesterbesetzung charakterisiert wurden. Der hier vorliegende Band zeichnet sich durch eine differenziertere Wahrnehmung aus und widmet sich vorrangig der anderen Seite der Männlichkeiten: den Karikaturen in der Komischen Oper, den oft parodistisch überzeichneten Männerrollen in der Operette, der „Gebrochenheit und […] Bedürftigkeit der männlichen Figuren“ (Hindinger, S. 113) wie in Verdis Don Carlos, ihren Schwachstellen, etwa der Eifersucht in Verdis Otello und Debussys Pelléas und Mélisande, einem vom Gefühl beherrschten Werther bei Jules Massenet bis hin zur Hilflosigkeit des herrschsüchtiges „Mannes“ in Schönbergs Die glückliche Hand. Und über die im Martialischen verbleibenden Geschlechtsgenossen heißt es lapidar: „Je affektgebundener und ruchloser die männlichen Figuren nach der Kernposition der ‚hegemonialen Männlichkeit‘ streben, desto dramatischer bereiten sie damit ihren Untergang vor“ (Martin Blawid, S. 218).
Insgesamt enthält der Band 17 Beiträge, die – von Beethovens Schauspielmusik zu Egmont bis zu Bergs Wozzeck – chronologisch angeordnet sind. Der Titel Der musikalisch modellierte Mann ist eine Abwandlung des Titels von Robert W. (Raewyn) Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, dtsch. Opladen 1999. Auf Connells zentrale Position der „hegemonialen Männlichkeit“ und ihre Relativierung nimmt der Band an vielen Stellen Bezug. Die Titelformulierung weckt allerdings falsche Erwartungen: Es geht in diesem Buch selten um den musikalisch modellierten und überwiegend um den literarisch modellierten Mann, in Form von Dramen (Egmont), literarischen Vorlagen (Goethe, Schiller), Libretti und Inszenierungen. Von den 18 AutorInnen kommt nur ein Drittel aus der Musikwissenschaft, und nur vier von ihnen gehen ihr Thema auch mit musikanalytischem Instrumentarium an. Über Musik zu schreiben, ist bekanntlich leichter, wenn Programm oder Texte die Deutung vorgeben, und Gender-Analysen am musikalischen Material dingfest zu machen, gelingt selten überzeugend. Umso lesenswerter sind in diesem Band die Artikel von Ute Röller (Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius), Katharina Hottmann (Der Bettelstudent von Carl Millöcker), Marion Recknagel (Werther von Jules Massenet) und Kordula Knaus (Die Figur des Komponisten bei Richard Strauss).

Freia Hoffmann
Bremen, 09.03.2013

Dieser Beitrag wurde unter Gender, Rezension abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.