Klemm, Hans-Georg: Beethoven, Wagner, Mahler. Genial und hochsensibel. – Leipzig: Primus, 2012. – 168 S.
ISBN 978-3-86312-334-5 : 19,90€ (geb.)
Irgendwie hatte unsereins schon immer den Verdacht, dass die großen Geister unserer Menschheitsgeschichte etwas anders getickt haben als die normalsterblichen Zeitgenossen. Die Methode, Spleens berühmter Künstler gleichzeitig zu überzeichnen und diesen somit den Hauch der Exklusivität zu verleihen und das Genie dennoch auf eine menschliche Ebene herunterzuholen, wurzelt in dem Bestreben, den Leser zu unterhalten, ihn seiner Normalität zu versichern und seine Klischees zu bestätigen. Diese Strategie beherrschten Autoren bereits im 19. Jahrhundert, das – zumindest in Bezug auf Tonkünstlerbiographien – so manche Wahrnehmungsverzerrung beim Lesepublikum zu verantworten hat (man denke beispielsweise nur an romantisch überzeichnete Lebensbilder Mozarts oder Wilhelm Friedemann Bachs…).
Was heutige Autoren antreibt, in solche alten Darstellungsmuster zurückzufallen, kann man nur mutmaßen. Der Musikpädagoge Klemm hat dieses Verfahren bereits mit einer einschlägig gefärbten Beethoven-Biographie erprobt und – wenn man die Resonanz im Blätterwald und im Netz berücksichtigt – damit die Zielgruppen stark polarisiert: entweder es kommt außerordentlich gut an oder man lehnt es total ab. Dass es einen Mittelweg zwischen fußnotenlastiger, von Fachchinesisch dominierter Spezialliteratur und klischeeverhaftetem Künstlerroman gibt, haben andere Schriftsteller (Peter Härtling oder Dieter Kühn z. B.!) vielfach bewiesen. Die allfällig zu beobachtende Fragmentierung des Lesepublikums in so unterschiedlich wie nur möglich orientierte „Kostgänger“ (ein nicht unbeträchtlicher Anteil liest sicher nur noch häppchenweise und/oder analog/digital, wenn überhaupt) dürfte auch hier Ursache gewesen sein für die Aufbereitung des Stoffs durch
1. Auswahl und Verknüpfung der Lebenswege berühmter Komponisten
2. Reduzierung von deren Persönlichkeit auf allen dreien gemeinsamen Schrullen (wie z. B. Geruchsüberempfindlichkeit, hypersensibles Gehör, Stimmungsschwankungen, angebliche Nekrophilie)
3. Heranziehung von Anekdoten
und deren Einbettung in kurze, schlaglichtartige Kapitel. Wollte man daraus ein griffiges Rezept formulieren käme man am ehesten auf die Gleichung: Prominenz + Schrulle + Anekdote = Infotainment. Dabei ist das Buch durchaus ansprechend geschrieben, der Stil ist kurzweilig, der Ansatz originell konzipiert: Es beginnt mit einer Art Prolog im Himmel, der alle drei Protagonisten vereint, die einzelnen „Akte“ befassen sich mit deren Charakterähnlichkeiten in vergleichbaren Situationen, der Epilog (Klemm versucht sich populärwissenschaftlich mit neurophysiologisch-medizinischen Deutungen) ist als Synthese dessen gedacht, was die Komponisten an- und umgetrieben hat. Vielleicht müssen wir uns in Zukunft vermehrt mit solcher Art von Literatur abfinden; solange Verlage hiermit Leser finden und Gewinn machen, muss man sich seinen Kultursnobismus wahrscheinlich verkneifen und sich freuen, dass überhaupt konventionell gelesen wird.
Claudia Niebel
Stuttgart, 22.11.2012