Synofzik, Thomas: Heinrich Heine – Robert Schumann. Musik und Ironie – Köln: Dohr, 2006 – 191 S. : Notenbeisp.
ISBN 3-936655-27-8 : € 24,80 (geb.)
Hört man Dietrich Fischer-Dieskau Schumanns Dichterliebe singen, aufgenommen in den 50er Jahren – schwermütig, bleiern, martialisch –, dann kommt einem in den Sinn: Wäre der Textdichter Heine kein von den Nazis verfemter Jude gewesen, hätte man diese treudeutsche Einspielung sicher nicht anders auch im „Dritten Reich“ veranstalten können. Einer solchen Sangesart lagen zwei noch bis vor kurzem in Deutschland unbestrittene Vorurteile zugrunde. Das eine betrifft Heine: einen Dichter, bei dem angeblich alles ironisch gemeint ist, das andere Schumann: einen Komponisten, der entweder Heine mißverstanden habe oder in Tönen einfach nicht ironisch sein wollte und konnte. Stets gab man einem humorlosen Schumann die Ehre und meinte ihn gegen den frivolen Heine ausspielen zu können. Es ist das Verdienst dieses Buches, mit beiden Vorurteilen in einem literatur- und musikhistorischen Doppelzug gründlich aufzuräumen.
Wieder einmal sind es die Quellen, Selbstzeugnisse Heines und Schumanns, sowie die präzise poetische und musikalische Analyse einzelner Lieder, die die wirklichen Verhältnisse klarlegen: Heine ist nicht immer nur ironisch, Schumann kann sehr wohl im Medium der Musik ironisch sein. Das historisch und forschungskritisch ausgerichtete Buch kann die Unhaltbarkeit einer langen Traditionslinie deutscher Mißverständnisse zu Schumanns Heine-Vertonungen aufdecken. Heine und Schumann bezogen ihre Inspirationen nicht aus den Doktrinen der romantischen Schule, die in der Ironie ein Mittel zu metaphysischer Distanzierung von der Realität sehen wollte, sondern eher aus einer sehr handfesten ironischen Praxis, wie Jean Paul sie verwirklichte.
Das Buch gibt detaillierte Einzelanalysen vieler Lieder, um seine Schlußfolgerungen zu begründen. Hervorsticht u. a. die Analyse eines Heine-Gedichtes, das überhaupt nur von Schumann vertont wurde, und in dem paradoxe Kontraste das Komische hervorrufen: Warte, warte, wilder Schiffsmann.
Ärgerlich ist, daß die im Text genannten Taktzahlen in den abgedruckten Notenbeispielen nicht zu finden sind. Auch hat der Autor die Angewohnheit, bei seinen Literaturangaben in den Fußnoten nicht die Einzelschriften der zitierten Autoren zu nennen, sondern nur Band- und Seitenzahl aus kritischen Gesamtausgaben anzugeben. Wer hat sie alle zu Hause stehen, um gleich nachschlagen zu können? Als Marotte erscheint es auch, Heines als „Die Romantische Schule“ eingebürgerte Schrift stets nur unterm Titel ihres Erstdrucks (1833) zu nennen. Vom Satz des Buches her ist irritierend, daß die schönen laufenden Kolumnentitel einmal nicht dem richtigen Kapitel zugeordnet sind.
Trotz alledem wiegt dieses Buch die Unmenge ideologisch verbrämter Schumann-Literatur vergangener Jahrzehnte auf und sollte zur Konfrontation und Korrektur zum Thema „Heine und Schumann“ in keiner guten Musikbibliothek fehlen.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 380f.