Mücke, Panja: Musikalischer Film – Musikalisches Theater. Medienwechsel und szenische Collage bei Kurt Weill. – Münster [u.a.]: Waxmann, 2011. – 262 S.: s/w-Abb., Notenbsp., Bibliogr., Register (Veröffentlichungen der Kurt-Weill-Gesellschaft Dessau ; 7 )
ISBN 978-3-8309-2142-4 : € 29,90 (kart.)
Wie andere Komponisten auch sah Kurt Weill (1900-1950) in dem Aufkommen des Tonfilms eine Chance, die bisherigen Bühnenformen weiterzuentwickeln. In seinem 1930 publizierten Aufsatz Tonfilm, Opernfilm, Filmoper vertrat er beispielsweise nachdrücklich die Auffassung, dass die technische Vervielfältigung, d. h. die Abfilmung von Opern bzw. die „Oper in der Konserve“ alleine keine tragfähige Grundlage für eine Übertragung der bisherigen Darstellungskonzepte bieten könne; stattdessen müsse man erst „über die musikalischen Möglichkeiten und die formalen Grundgesetze des Tonfilms Klarheit gewonnen“ haben, bevor eine klassische Oper zu einem Opernfilm umgestaltet werden könne.
Panja Mücke geht nun in ihrem aus einer Habilitationsschrift hervorgegangenen Buch auf der Grundlage der „Medien-Konkurrenz“ in den Jahren zwischen 1910 und 1930 den Auswirkungen nach, die der Film auch schon vor der Durchsetzung des Tonfilms um 1930 auf die überlieferten Bühnengattungen hatte. Die Konzentration auf Kurt Weill rechtfertigt sich dabei durch die Tatsache, dass sein Schaffen durch zahlreiche der damaligen Medienwechsel und -brüche zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt ist. Folgerichtig spielt Filmmusik im engeren Sinne in Mückes Buch dabei keine Rolle. Vielmehr rückt die variable Hierarchie und Funktion von Musik, Bühne und Film in den Mittelpunkt, wenn die Transformationen szenischer Werke beim Übergang in ein anderes Medium oder die Wechselwirkung mehrerer medialer Ebenen bei ihrem gleichzeitigen Einsatz beleuchtet werden. Gleichwohl sind Mückes Ausführungen durchaus auch mit Blick auf Filmmusik zu lesen, da die Veränderungen des musikalischen Einsatzes vom Stumm- zum Tonfilm ohne Kenntnis der damaligen Experimente und Erfahrungen mit konkurrierenden Medien auf der Bühne nur schwer nachzuvollziehen sein dürften. Die Abgrenzungen und Synthetisierungen der unterschiedlichen Medien werden behandelt zum einen anlässlich der Umsetzung von musikalischem Theater im Rahmen des frühen Tonfilms (konkret am Beispiel der Dreigroschenoper, 1931), zum anderen anhand der Einbeziehung des filmischen Mediums im Kontext traditioneller Aufführungsformen (hier dargestellt unter anderem anhand der Uraufführung von Weills Mahagonny 1927 in Baden-Baden), schließlich angelegentlich von Aufführungen, die technische Reproduktionsapparate wie Grammophon und Rundfunk in überlieferte Darstellungsweisen integrieren. Kontrastiert werden die auf Weills Œuvre bezogenen Untersuchungsergebnisse jeweils durch entsprechende Konzepte in Werken anderer Komponisten, so dass ein überaus intensives Panorama des Bühnengeschehens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts entsteht, das den Blick auf Theater, Oper und Film in dieser Zeit nachhaltig erweitert.
Markus Bandur
Berlin, 16.10.2012