Die Beatles – Tag für Tag / Fotos von den Hulton Getty Archives. Text von Simon Wells.- Aus d. Engl. v. von Dieter Krumbach – München: Knesebeck, 2005. – [744 S.]: 365 farb. u. schwarz-weiß-Abb.
ISBN 3-89660-312-4 : € 33,00 (geb.)
Die Beatles?! Zum wievielten Mal eigentlich? Also gut, es werden bisher unbekannte Fotos angekündigt, und da ein solches Versprechen immer geeignet ist, das Publikum neugierig zu machen (ganz oben auf der Liste steht Marilyn Monroe), das Buch wacker in die Hand genommen. Da braucht man gleich zwei Hände, denn es ist schwer, außerdem ist das relativ kleine Querformat (24 x 16,5 x 5,5 in cm) für einen Bildband dieser Dicke ungewöhnlich.
Die Aufteilung ist praktisch und übersichtlich: Die Fotos nehmen jeweils die komplette rechte Seite ein (einige kleinere finden auf der linken Seite Platz), die Texte stehen auf der linken Seite und zwar dergestalt, dass die Kommentare des Autors eine linke Kolumne einnehmen und die Interviews und Zitate der Protagonisten eine rechte, das ganze linksbündig angeordnet. Darüber links oben stehen die Tagesdaten, und zwar lückenlos vom 1. Januar bis zum 31. Dezember, eben 365 Tage. Jetzt wird es allerdings etwas kompliziert: Als Überschriften zu den Texten stehen auch jeweils Daten und zwar die der Ereignisse auf den Fotos. Eingeteilt sind sie in drei große Blöcke: „Es wird laut! 1963-1965“, „Lauter helle Augenblicke. 1966-1967“, „Kollisionen: 1968-1970“, tatsächlich beginnen die Abbildungen aber am 9. November 1961 und enden am 1. Juni 1987.
Die Fotos stammen aus kürzlich freigegebenen Beständen des Hulton Getty Archivs, die Texte von Simon Wells.
Wells? Tatsächlich, Simon Wells ist der 1961 geborene Urenkel des britischen Autors Herbert George Wells, dessen berühmten Roman The Time Machine er 2001 sogar verfilmte.
Wells arbeitet hauptsächlich als Filmregisseur für Zeichentrickproduktionen, zu nennen sind u.a. Falsches Spiel mit Roger Rabbit und Feivel, der Mauswanderer im Wilden Westen. Mit The Time Machine gab er sein Debüt als Realfilmregisseur.
Die Fotos sind in ihrer technischen Qualität recht unterschiedlich, auch oft sehr unscharf. Teilweise gewinnt man den Eindruck, sie stammten aus einer großen Kiste, in der aber auch alles liegt, was jemals mit Beatles zu tun hatte, unabhängig von der Bildqualität. Durch die einheitlichen Bildgrößen im Buchseitenformat können sicherlich einige Schärfenunterschiede erklärt werden, vieles ist aber einfach nur mittelmäßig, jedoch neu fürs Publikum.
Man muss hier nicht lange die Sujets der Fotos beschreiben, sie stellen uns die Beatles vor, manche ihrer Wegbegleiter, zusammen mit oder ohne John, George, Paul und Ringo, manche die Protagonisten einzeln oder mit Freundin oder Frau. Die meisten sind offensichtliche Pressefotos, weniger sind fürs Album gemacht, alle aber eigentlich übliche Fotos, die das Tun der Beatles dokumentieren.
Nimmt man die ausgesuchten Fotos und betrachtet die von Simon Wells sorgfältig ausgesuchten – von Dieter Krumbach übersetzten – Kommentare, wird auf einmal eine runde Sache daraus: Dieser Band ist wie ein Tagebuch, wie ein Jahrbuch, wie ein Album zu lesen, um so mehr, als es keine Seitenzählung gibt, sondern nur die Datenzählung vom Anfang bis zum Ende des Jahres.
Was gibt es z.B. unter dem 7. September zu sehen: Aha, ein Foto vom 13. September 1966 mit Paul, Dusty Springfield, Tom Jones und Ringo nach einer Ehrung durch den „Melody Maker“. Der Leser denkt sich sein Teil (was muss das langweilig sein, immer diese Auszeichnungen, diese Gute-Miene-Termine), wagt es aber nicht auszusprechen. Nun, das übernimmt Simon Wells fürs Publikum. „Die Oberflächlichkeit der ganzen Zeremonien geht ihnen auf die Nerven.“ Gut, dann dürfen wir das Bild jetzt anders lesen, nämlich nicht als Pressefoto, sondern als Stimmungsbild. Unter dem 2. Juni zeigt Wells uns eine Nahaufnahme von John, der am 30. April 1964 bei Aufnahmen zu dem Film Help in aller Zurückgezogenheit seine Gitarre stimmt, ein sehr ruhiges Bild von einem, der weiß, was zu tun ist. Nebenher lässt Wells uns wissen, wie der Film Help in die Reihe der anderen einzuordnen ist und zitiert John ebenfalls mit einer offensichtlich späteren Bewertung, die die anderen Filme mit einbezieht. Und unter den 13. Dezember plaziert Wells George und seine Frau Patti vor dem Abflug in den Urlaub nach Sardinien am 1. Juni 1969 mit der in deutsch lautenden Überschrift: „Sonne, wir kommen!“. Ja, und dann schrieb George auf Sardinien Here comes the sun.
Und so liest sich dieser Bildband so, wie es eben gefällt: Als Chronologie der Beatles-Ära, als Fotoband, als Hintergrundinformation, als Spruch und Foto für einen bestimmten Tag, als Zeitreise und nicht zuletzt als Beweis dafür, dass man Zeitgeist nicht wiederholen kann, was die allfälligen 60er, 70er und andere Neo-Moden von heute vorgeben.
Zwei Anmerkungen zum Schluss: Die Rezensentin kann aufgrund ihres Alters von 49 Jahren nichts darüber sagen, wie dieser Bildband auf Nachgeborene wirkt. Womöglich kommen als Publikum vor allem entsprechende Jahrgänge in Frage. Und eins zeigt der Band ganz deutlich. Trotz aller Stylings und Posings, über die Stars auch damals selbstverständlich verfügten, haben sie die Schminke noch nicht so dick aufgetragen wie die heutigen Stars. Mittelmäßige Fotos sind gute Fotos.
Irmgard Hilger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 102f.