Ferruccio Busoni im Briefwechsel mit seinem Verlag Breitkopf & Härtel 1883–1924 / Hrsg. von Eva Hanau. 2 Bde., – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2012. – 734 und 834 S.: Abb.
ISBN 978-3-7651-0318-6 : € 126,00 (geb.)
Schön, wenn Verlagsarchive so ergiebig sind, dass sie einen so detaillierten und instruktiven Einblick in die Werkstatt eines Musikers wie in die eines Musikverlegers gewähren, wie hier im Falle Ferruccio Busonis (1866-1924) und seines Verlags Breitkopf & Härtel, repräsentiert durch die Familie von Hase (Oscar, der Vater, und Hermann und Helmut, die Söhne). Anreden („Sehr geehrter Herr Geheimrath“, „Sehr geehrter Herr Professor“) und Grußformeln zeigen die zeittypische Höflichkeit und scheinbar distanzierte Haltung, mit denen man sich begegnete, machten aber offen oder verdeckt, zumindest unterschwellig spürbarer gegenseitiger Interessiertheit und Sympathie Platz: Die Korrespondenz ging weit über das Reingeschäftliche hinaus und war mit dem Kulturauftrag verknüpft, dem beide Seiten sich verpflichtet fühlten. Es kommt auch schon einmal vor, dass in der Hochzeit der fruchtbaren Beziehungen (gegen 1909) Busoni einen Brief in Sonatensatzform, also mit „Introduction, Tema, Durchführung, Coda, Post-Ludium und Varationes postumae“ einreicht (Bd. 1, S. 357f.), um seinen Briefverkehr phantastisch und elegant zu stilisieren.
Zu Lebzeiten und die meiste Zeit ihres Umgangs war Busoni dem Verlag als engagierter Herausgeber und Bearbeiter der Klavierwerke Bachs und Liszts wohl wichtiger denn als Komponist eigener und eigenwilliger Werke, die es nur schwer hatten, anerkannt und vertrieben zu werden. Und so ist es den Verlegern hoch anzurechnen, dass sie ihrem Autor trotz mangelnden Absatzes seiner exotischen Produktionen (Indianische Phantasie und Indianisches Tagebuch) oder von über die Grenzen der Tonalität hinausgehenden Werken (wie der Berceuse élégiaque) oder schwierigster Opernexperimente (wie Turandot und Arlecchino) die Treue hielten – sogar noch als er nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs offiziell zum „feindlichen Ausländer“ wurde. Busoni verehrte zwar die deutsche Musikkultur, konnte aber die deutschen Kriegsziele nicht akzeptieren, sondern hatte sich als neutraler Kosmopolit in die Schweiz ins Exil begeben, und seine Werke wollte nun im Deutschen Reich niemand mehr spielen. Obwohl gerade aus dieser heiklen Periode seine Gegenbriefe fehlen, ist doch nicht daran zu zweifeln, dass die Art und Weise, wie die von Hases Busoni unterstützten, ihm eine Genugtuung gewesen sein muss. Busonis Produktivität in Zürich war ungebrochen und er konnte durch seine Freundschaften mit den Schweizer Musikern Volkmar Andreae (Dirigent des Tonhalleorchesters) und Othmar Schoeck (Komponist) seine Nützlichkeit auch für das Überleben des Verlages in Kriegszeiten erweisen.
Wen die genaue Editionsgeschichte der Klavierwerke Liszts oder der Sebastian Bachs interessiert, der ist hier bestens bedient. Und im Falle von Bach ist noch auf die unterschiedliche Geschichte der beiden verschiedenen Ausgaben hinzuweisen, die hier in der Korrespondenz entfaltet wird, nämlich der Bach-Busoni-Ausgabe, die man als eine eingreifende Bearbeitung der Bachschen Werke für den modernen Konzertflügel auf der Höhe des Virtuosentums Busonis betrachten muss, und der so genannten Instruktiven Ausgabe Sämtlicher Klavierwerke Bachs, also einer weitgehend textgetreuen Wiedergabe mit modernen Spielanweisungen. Beide Ausgaben hat Busoni betreut und ihrem Charakter nach streng geschieden. Auch Busonis Einsatz für andere Komponisten, wie den älteren Charles Alkan oder den jüngeren Béla Bartók, kann man hier verfolgen. Im Vorrätighalten Busonischer Werke (Partituren und v.a Aufführungsmaterialien) herrschte im Verlag ein den Komponisten verdrießendes oder ihn auch amüsierendes Knappheitsregime, so dass es beispielsweise nicht möglich gewesen wäre, sein ausladendes fünfsätziges Klavierkonzert mit Männerchor gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten Europas aufzuführen. Dennoch unterlag Busoni in den letzten Jahren vor seinem Tode einem Missverständnis der wirtschaftlichen Möglichkeiten des Verlages in den Krisenjahren der Weimarer Republik, und es kam zu einer echten Verstimmung, der der Verlag letztlich nicht gegensteuern konnte.
Die in sechs Zeitabschnitte entlang den Zäsuren in Busonis Leben aufgeteilten 1.350 Briefe werden von einer auf S. 469 des zweiten Bandes beginnenden Kommentierung begleitet, deren großer Vorteil in ihrer Knappheit und Präzision liegt, wofür der Herausgeberin Eva Hanau nicht genug zu danken ist; ein qualifiziertes Namensregister und ein Register der originalen Kompositionen Busonis und seiner zahlreichen Bearbeitungen fremder Werke schließen diese hervorragende Briefedition auf das nützlichste und angenehmste ab.
Peter Sühring
Berlin, 21.3.2012