Rathjen, Friedhelm: Von Get Back zu Let It Be. Der Anfang vom Ende der Beatles. – Berlin: Rogner & Bernhard, 2009. – 336 S.
ISBN 978-3-8077-1052-5 : € 19,90 (geb.)
Am Abend des 29. August 1966 war es vorbei: Nach dem Auftritt in San Francisco sollten die Beatles nie mehr vor großem Publikum spielen. Nervenaufreibende Tourneen, ständige Medienpräsenz und der schiere Lärmpegel bei den Konzerten waren die Gründe für diesen radikalen Rückzug. Statt auf die Bühne ging die Band nun ins Studio und wagte sich zusammen mit ihrem Produzenten George Martin an eine neue Definition populärer Musik. Doch auch diese Phase war nicht von Dauer. Nach Brian Epsteins Tod, der die Sinnsuche einzelner Bandmitglieder erneut anregte, beschwor Paul McCartney den Beatles-Geist der Hamburger und Liverpooler Tage. Diesen wähnte der Bassist auf der Konzertbühne, und der Weg dorthin führte die Beatles zunächst in ein TV-, später in das Apple-Studio, bis er schließlich auf dem Dach des Firmengebäudes bei dem endgültig letzten öffentlichen Auftritt endete.
Friedhelm Rathjen hat diesen Weg nachgezeichnet, der in Gestalt des Albums Let It Be und des gleichnamigen Films zumindest auszugsweise einer großen Öffentlichkeit bekannt sein dürfte. Rathjen aber will mehr. Der 1958 geborene Literaturkritiker, Biograf und Übersetzer sieht sich einerseits als Chronist, andererseits ist ihm auch an einer Rehabilitation von Paul McCartney gelegen. Dass dieser nämlich häufiger als seine Kollegen für das Zerbrechen der Band verantwortlich gemacht wurde, sei eine Meinung, die durch die Botschaft des Films nachvollziehbar sei, aber dringend einer sorgfältigeren Aufarbeitung bedürfe. Rathjen hat sich dieser Aufgabe mit Fleiß und Hingebung gewidmet. Dank der Probenbegleitung durch ein Filmteam liegen von den 21 Tagen in den Studios sowohl Audio- als auch Videodateien vor, die eine genaue Rekonstruktion zulassen. Rathjen hat sich durch die über hundert CDs gearbeitet (Nachahmer seien vor den rechtlichen Konsequenzen gewarnt, die der Umgang mit diesen Bootlegs nach sich ziehen könnte), und er führt genauestens Buch darüber, welche Songs wie lange angespielt wurden, welche Wortbeiträge es von den Beteiligten gab und welche Stimmungslage vorzuherrschen schien. Der Autor ist dabei nicht nur trockener Protokollant, sondern hält sich glücklicherweise mit interpretierenden Schlussfolgerungen (vor allem am Ende der einzelnen Tageskapitel) nicht zurück. Dieses dramaturgische Konzept kommt dem Buch zugute. Denn hätte Rathjen die Probentristesse – verstimmte Gitarren, schwache Texte, uninspirierte Soli und ein gehöriges Maß an Konfliktpotential – lediglich aufs Papier übertragen, der 300-Seiten-Bericht wäre gar zu trostlos geraten. So aber lenkt der Autor die Aufmerksamkeit auf die durchaus vorhandenen Sternstunden der Sessions, und man kann darüber spekulieren, welchen Weg die Beatles genommen hätten, wären auch die drei übrigen Bandmitglieder so engagiert bei der Sache gewesen wie Paul McCartney.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011). S. 83f.