Mittelalter und Mittelalterrezeption. Festschrift für Wolf Frobenius / Hrsg. von Herbert Schneider. – Hildesheim u.a.: Olms, 2005. – 440 S.: Ill., Notenbeisp. (Musikwissenschaftliche Publikationen ; 24)
ISBN 3-487-12880-2 : € 78,00 (Pb.)
Die Festschrift für Wolfgang Frobenius versammelt 17 Beiträge, die sich mit dem Mittelalter und seiner Rezeption unter unterschiedlichsten Aspekten beschäftigen. M. Beiche behandelt die Silbe als musiktheoretischen Begriff; P. Just thematisiert im Vergleich von Editionen der Gesänge Hildegards von Bingen die impliziten Interpretationen. K.-J. Sachs weist anhand des Traktates von Petrus dictus Palma ociosa auf dessen Nähe zu den Motetten der Ars nova hin, während L. Welker Analogien des Traktats von Egidius de Murino zur Tradition der Rezeptliteratur unterstreicht. C. Hertel legt anhand von A l’arme von Grimace ein neues Beispiel für Zitate zwischen zwei Virelais vor. R. Schmusch untersucht musikalische Zeitvorstellung im 16. Jh., F. Schmitz-Gropengießer die Tradition des Gregorianischen Chorals in der evangelischen Kirche, D. Gutknecht Musikallegorien.
W. Braun behandelt mit Vertonungen des 17. Jhs. über den mittelalterlichen Text Jesu dulcis memoria ein seinerseits bereits historisches Rezeptionsphänomen. W. Seidel arbeitet am Stabat mater Pergolesis sowie Klopstocks Umdichtung und Hillers Bearbeitung die zugrundeliegende gewandelte Religiosität heraus.
W. Rathert untersucht anhand von Musikgeschichtsvorlesungen Heinrich Bellermanns die Rolle der Beschäftigung mit dem Mittelalter bei der Entstehung des Faches Musikwissenschaft. M. Biget gibt einen Überblick über mittelalterliche Sujets in der Oper des 19. Jh. H. Schneiders umfangreicher und reich bebilderter Aufsatz untersucht die Auseinandersetzung mit dem Mysterienspiel seit dem späten 19. Jh., das nicht nur besonders in Frankreich breit rezipierte Werke anregte, sondern auch Anregung für Theater und Musiktheater gab, die die Ästhetik des 19. Jh. verließen.
H.-J. Winkler unterstreicht an Hindemiths Beschäftigung mit alter Musik und Theoretikern wie Boethius und Augustinus deren Rolle als Gegenbild zur eigenen Gegenwart, der die moralische Stärke mangele. M. Delaere schließlich behandelt mit der Hoquetus-Technik einen Aspekt der kompositorischen Mittelalter-Rezeption in Werken der Neuen Musik, die möglicherweise besonders wegen ihrer Möglichkeit zu rhythmischen Experimenten attraktiv ist. Den Blick über die eigene Disziplin hinaus erweitern zwei Aufsätze zu mittelalterlichen Einflüssen in der bildenden Kunst: Christa Lichtenstern untersucht das Verhältnis des Bildhauers Ernst Barlach zur mittelalterlichen Kunst, Christoph Wagner zeichnet Gotikrezeption am Bauhaus nach, die etwa bei Walter Gropius und Johannes Itten faßbar wird, bei denen die Gotik gerade wegen ihrer rationalen Konstruktionsprinzipien rezipiert wurde. (Der Band Utopia von 1921 wurde allerdings nicht von Guido (S. 403), sondern von Bruno Adler herausgegeben.)
Die zuweilen inkonsequent angewandte Rechtschreibung (S. 293 „dass“ aber „Baß“, S. 411 Delaere „äusserst“) und verschiedene Fehler („Hypothenuse“, S. 193 ) sind weniger unerfreulich als die nachlässige typographische Gestaltung (v.a. die häufig auftretenden Sperrungen ganzer Zeilen bei Verzicht auf Silbentrennung), die die Lektüre des ansonsten eine Auswahl anregender Beiträge versammelnden Bandes etwas beeinträchtigt.
Inga Mai Groote
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 26 (2005), S. 454f.