Hommes, Marie-Therese: Verkettungen und Querstände. Weberns Schüler Karl Amadeus Hartmann und Ludwig Zenk und die politischen Implikationen ihres kompositorischen Handelns vor und nach 1945. – Schliengen: Edition Argus, 2010. – 442 S.: Notenbsp. (Forum Musikwissenschaft ; 4)
ISBN 978-3-931264-54-3 : € 49,00 (kt.)
Wer nach Detailuntersuchungen über die politisch motivierten, als ästhetische Widerstandsaktionen gegen den Nationalsozialismus gedachten Kompositionen K. A. Hartmanns sucht oder nach einer problembewussten Darstellung der Werke eines so opportunistischen Künstlers wie Ludwig Zenk, der ist mit diesem Buch gut bedient. Trotzdem legt man dieses anstrengende Buch etwas ratlos wieder aus der Hand, denn die Rahmenbedingungen und die Schlussfolgerungen sind nicht stimmig. Zur Klärung des Verhältnisses von Politik und Musik konnte es nicht wirklich beitragen. Trotz eines Berges von Material und eines immensen Aufwands an wissenschaftlichem, oft jargonhaftem Begriffsgeklapper hat man den Eindruck, die Autorin hätte sich nur mühsam und doch nicht restlos von gut gemeinten Vorurteilen befreien können. Das zeigt schon ihre unklare, gewundene, sehr an Subjektiven mit der Endung „-ung“ und Partizipialkonstruktionen hängende Sprache. Die absurde Gleichung: musikalischer Avantgardismus und Antifaschismus gehören zwingend zusammen, wird hier zwar nicht mehr vertreten, aber dass Avantgardismus in der Kunst nicht vor politischer Dummheit schützt, sie sogar verursachen kann, ist hier noch gar nicht klar genug ausgesprochen. Der zum Nationalsozialismus (wie die Autorin schreibt: zum „deutschen Faschismus in Österreich“, S. 291) übergelaufene Zwölftöner Ludwig Zenk (1900–1949) und der „glühende Antifaschist“ Karl Amadeus Hartmann (1905–1963) waren beide Schüler von Anton Webern (1883–1945), dessen von Stefan George beeinflusste geistesaristokratische Ideologie als Quelle der politischen Verirrungen nicht wirklich kritisiert wird. Die gemeinsame Schülerschaft bei Webern ist zwar der den Vergleich beider Komponisten auslösende Umstand, aber man kann sich kaum zwei unterschiedlichere Künstlercharaktere vorstellen als Zenk und Hartmann. Zenk stand der Ideologie von Webern von Anfang an deutlich näher als Hartmann. Und man müsste wohl bis zu Schönberg und George zurückgehen, um herauszufinden, wo der Hase im Pfeffer liegt.
Arnold Schönberg, der – nach einem klugen Ausspruch von Hanns Eisler – eine Revolution im Komponieren machen musste, um Reaktionär bleiben zu können, ist die Quelle eines Syndroms, das bei seinen Schülern und Enkelschülern viele Variationen angenommen hat. Die Tatsache, dass die „neuen Mittel“ (die „Zwölftonmusik“) nur dazu dienen sollten, eine Tradition weiterzuführen (Hommes: „Weberns Überzeugung bestand in der Notwendigkeit einer Weiterführung…“, S. 291), müsste doch den Blick auf die gemeinte Tradition und deren Kritik lenken. Hier geht es um den Hegemonieanspruch einer deutschen Tradition des Komponierens, für deren Weltgeltung Schönberg und Webern stritten, als deren höchste Vollendung sie sich selbst fühlten und die dennoch von den Nazis nicht anerkannt wurden (der Jude Schönberg wurde verjagt, der „Arier“ Webern mit Berufsverbot belegt). Dass Webern die neuen Mittel auch nach dem Anschluss Österreichs verteidigte (und verlangte, die Nazis sollten sie anerkennen), während der Opportunist Zenk sie aufgab und der raffinierte Widerständler Hartmann sie verdeckt anwandte, ist eines der faszinierenden Phänomene, die von Hommes erzählt werden.
Peter Sühring
Rev. Fassung der zuerst in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 355 veröffentl. Rezension