Gebhardt, Gerd und Jürgen Stark: Wem gehört die Popgeschichte? – Berlin: Bosworth, 2010. – 382 S.: 50 s/w-Abb.
ISBN 978-3-86543-289-6 : € 19,95 (Pb.)
Die Autoren sind der in der Musikindustrie und in diversen Firmen und Verbänden tätige Gerd Gebhardt und der in Förderprojekten, im Journalismus und als Musiker tätige Jürgen Stark. Das Team legt ein schwergewichtiges Werk vor, dessen Erstellung mit einem nicht geringen Rechercheaufwand verbunden gewesen sein muß. Auf dem Cover finden sich Größen des Showbusiness versammelt, neben Marlene Dietrich, Nena, Elvis und Pink Floyd ist auch ein Foto des Gurus Bhagwan zu sehen. Gehört ihm etwa auch ein Teil der Popgeschichte? Der Titel des Buches weckt große Erwartungen, und man mag einen erkenntnisreichen pophistorischen Rundumblick, vielleicht auch eine Sammlung musikwissenschaftlicher Exkurse, gewürzt mit sozialwissenschaftlicher Kontextausleuchtung und Kapitalismuskritik, erahnen.
Los geht es allerdings mit einem eher beschaulich-launigen Interview, in dem Heinz-Rudolf Kunze befragt wird: „Was sagt der Name Wolfgang Amadeus Mozart einem Popstar?“ 25 Seiten weiter wird inquiriert „Zweihundertfünfzig Jahre Mozart wurden 2006 gefeiert – haben wir die Tragik des kleinen Amadeus und der deutschen Musikkultur denn wirklich verstanden?“ Die hier beschrittene Reflexionsebene, eine biedermeierliche Tiefebene, wird im Verlauf des Buches kaum verlassen und das ist wirklich tragisch, denn die beiden Autoren haben eine Fülle von interessantem Material, darunter viele Zitate, zusammengestellt. Dieses ist an sich sehr lesenswert, wäre die Umkleidung nur nicht so banal, klischeehaft und umgangssprachlich platt. Naheliegend ist die Einbettung der Pophistorie in den gesellschaftlichen Kontext, es wird im entfernteren Zusammenhang ab Seite 76 dann z.B. auch von „Hasspredigern“ berichtet. Über Hitler liest man: „Es darf gestaunt werden über diesen Menschen, der sich einst für die Malerei begeisterte und sich dann vollkommen von der Freiheit der Künste abwandte. Was hat diesen damals jungen Mann aus Braunau so zum Hassen gebracht?“
Was hat die Autoren bloß dazu gebracht, ein an sich höchst spannendes Thema (Buchtitel) so zu trivialisieren und zu verschenken. Wäre das Buch nicht so entsetzlich schlecht geschrieben, hätte es ein Referenzwerk werden können. Innerhalb der mehr als 150 Seiten zwischen „Hitler“ und dem „Guru Bhagwan, der zum Nachdenken gerne in die Bäume stieg“, schreibt Jürgen Stark über die eigene Person u.a. „1968 war ich elf Jahre alt und mein Idol hieß Winnetou (…)“.
Da möchte man Allen Ginsberg zitieren und ein (Indianer)geheul anstimmen („Howl“!). Dieses Buch ist eher lesbar, wenn man sich auf die eingebauten Zitate beschränkt und den Rest ausblendet. Wem die Popgeschichte gehört, bleibt so oder so unklar.
Es ist zu schade, aber das Buch ist eine der größten Enttäuschungen des Genres. Es ist reich an Informationen, aber sprachlich und inhaltlich von großer Armut.
Manfred Miersch
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 285f.