Bahr, Petra: Paul Gerhardt – „Geh aus mein Herz …“ – Freiburg: Herder Verlag, 2007. – 143 S.
ISBN 978-3-451-05786-1 u. 3-451-05786-7 : € 8,90 (brosch.)
Bunners, Christian: Paul Gerhardt, Weg – Werk – Wirkung. – Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007. – 320 S.: Ill., Notenbeisp.
ISBN 978-3-525-55781-5 : € 29,90 (geb.)
Geiger, Erika: Dem Herren musst du trauen – Paul Gerhardt 1607-1676, Prediger und Poet. – Holzgerlingen: Hänssler Verlag, 2007. – 154. S.: Ill.
ISBN 3-7751-4014-X u. 978-3-7751-4014-0 : € 12,95 (geb.)
Paul Gerhardt (1607-1676) gilt nach Martin Luther als bedeutendster Liederdichter der evangelischen Kirche, „Paul Gerhardts Lieder gehören neben Grimms Märchen und noch vor Luthers Bibelübersetzungen zu den bekanntesten deutschen Texten überhaupt“ (Hans-Georg Kempner, zitiert von Bahr, S. 14). Ob Geh aus, mein Herz, und suche Freud, Ich steh an deiner Krippen hier, O Haupt voll Blut und Wunden oder Nun ruhen alle Wälder – viele seiner Lieder sind noch weithin bekannt, so sehr, dass der Dichter fast völlig hinter ihnen zu verschwinden scheint. Von seinen 139 Liedern und Gedichten sind noch 27 im aktiven Gebrauch, und davon befinden sich vier im Gesangbuch der katholischen Kirche. Gerhardts Lieder fassen seit Jahrhunderten alle spirituellen Erfahrungen – und nicht nur diese – in verständliche Worte. Mit der Frage, wer Paul Gerhardt nun eigentlich war, was er erlebt und wie sich das in seinem Werk niedergeschlagen hat, beschäftigen sich die Biographien von Petra Bahr, Erika Geiger und Christian Bunners. Alle drei Biographen stehen vor dem Problem, dass Dokumente, die Licht auf Paul Gerhardts Leben werfen könnten, nur in geringer Zahl überliefert sind. Jeder der Biographen begegnet diesem Mangel auf seine Weise.
Die Theologin und Literaturwissenschaftlerin Petra Bahr, seit 2005 Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, versteht ihre Annäherung an sein Leben als „mehr und anderes als eine makel- und lückenlose Geschichtserinnerung.“ Ihr Buch Paul Gerhardt – Geh aus, mein Herz unterstellt – gewollt einseitig – „eine wachsende Nähe zwischen dem Lebensgefühl des großen protestantischen Dichters und uns, die wir seine Lieder singen“ (S. 24). Bahr beschreibt sehr lebendig die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Bedingungen, unter denen Paul Gerhardt gelernt, gelebt und geschrieben hat, und sie kann dem Leser die Konsequenzen dieser Bedingungen knapp, aber verständlich erklären. Wie sich die Lebensumstände auf seine Lieder und Gedichte ausgewirkt haben, wird von Fall zu Fall in die Biographie eingestreut. Dabei gewährt Bahr erstaunliche Einblicke in die Symbolik der barocken Dichtung, wenn sie etwa „der schönen Gärten Zier“ genauer unter die Lupe nimmt und bei Narzissus und Tulipan zum einen die Anspielungen, die die antike Mythologie liefert, ausmalt oder zum anderen auf die fatalen Folgen der Tulpomanie verweist.
Ganz auf ihren Gegenstand bezogen ist dagegen die Biographie Dem Herren musst du trauen, Paul Gerhardt – Prediger und Poet, die die Philologin und Germanistin Erika Geiger vorgelegt hat. An Hand der überlieferten Dokumente, die auszugsweise zitiert werden, entwirft sie kurz ein detailliertes Lebensbild Gerhardts und geht in je einzelnen Kapiteln die großen Lebensstationen nach. Dabei beschränkt auch sie sich nicht nur auf den nackten Lebenslauf, sondern erläutert die kirchlichen Verhältnisse und die Auseinandersetzungen um ein wahrhaft lutherisches Bekenntnis oder die Besonderheiten der Barockdichtung einschließlich Paul Gerhardts theologische Anregungen und die Entwicklung der Stadt Berlin. Im Gegensatz zu Bahr werden die Lieder innerhalb des geschilderten Lebenslaufes nur sparsam und immer mit ihrem Titel zitiert. Erst im letzten Kapitel werden die fünf bekanntesten Lieder Paul Gerhardts kurz interpretiert, die zentralen theologischen Aussagen zusammenfasst und Auskünfte über die von Gerhardt verwendeten Stilmittel gegeben. Außerdem geht Geiger auf die frühen Publikationen von Texten und Melodien ein, auf die diese Texte zuerst gesungen wurden, und die längst nicht mehr denen entsprechen, die uns noch geläufig sind.
Ein aussagekräftiges Inhaltsverzeichnis, ein Literaturverzeichnis, eine Zeittafel zur Biographie Paul Gerhardts und ein Ort- und Personenregister sowie ein Anmerkungsapparat vervollständigen dieses übersichtliche und instruktive Werk. Lateinische Zitate werden im laufenden Text übersetzt. Geigers Gerhardt-Biographie ist für alle Leser geeignet, die sich selbst, aber auch anderen einen Eindruck von Paul Gerhardt verschaffen und diesen vertiefen wollen.
Von den drei Biographien ist die von Christian Bunners die detaillierteste. Der Theologe und Musikwissenschaftler ist der Gründungspräsident der Paul-Gerhardt-Gesellschaft. Er legt eine gründlich überarbeitete und aktualisierte Fassung seiner Paul-Gerhardt-Biographie aus dem Jahr 1993 vor. Er beschäftigt sich nicht nur mit dem Weg und dem Werk Paul Gerhardts, sondern lenkt das Augenmerk auch auf die Wirkungsgeschichte seiner Lieder. Bunners zeichnet Gerhardts Lebensweg detailliert nach und geht auch ausführlich auf das Schicksal der Menschen, die ihm nahe standen, ein. Vor dem Hintergrund der Lebenswege seiner Geschwister und Kollegen, seiner Ehefrau und Kinder, wird deutlich, was Gerhardt zu seinen Liedern motiviert hat. Natürlich gehört zu diesem Hintergrund auch die genaue Beschreibung der kirchlichen Entwicklungen und religiösen Strömungen. Wenn Bunners die Lieder, die nach Themen sortiert sind, einer intensiven Betrachtung unterzieht, zeigt er exemplarisch Gerhardts theologische Grundsätze, sein dogmatisches Rüstzeug, aber auch die Raffinesse, mit der der Dichter zu Werke gegangen ist. Er lässt matt gewordene Bilder wieder leuchten und vermittelt letztlich auch die politische Dimension, die Gerhardts Dichtung innewohnt.
Anders als in den beiden anderen Biographien widmet Bunners der Wirkungsgeschichte der Lieder breiten Raum. Er beschränkt sich dabei nicht auf die Überlieferung in Deutschland, sondern blickt über Ländergrenzen hinweg und schildert die weltweite Verbreitung der Lieder, die bereits im 17. Jahrhundert beginnt. Gerhardts Lieder haben die Menschen inspiriert, aber auch irritiert. Diese Einflüsse auf die Literaturgeschichte zeichnet Bunners ausführlich nach. Die Kraft, die von diesen Liedern ausgeht, stellt Bunners exemplarisch an Dietrich Bonhoeffers Aussagen dar und verschweigt auch nicht die Schwierigkeiten, die man mit ihnen haben kann. Die Einordnung der Lieder in ihren musikgeschichtlichen Kontext fehlt ebensowenig wie eine kurze Darstellung der bis heute kontinuierlichen Beschäftigung mit diesen Liedern. Ein Teil der Wirkungsgeschichte findet sich über das ganze Buch verteilt, es sind dies Illustrationen aus unterschiedlichsten Liederbüchern sowie zahlreiche Bilder von Paul Gerhardt, von dem zu Lebzeiten kein Portrait überliefert ist.
Vervollständigt wird das Buch durch einige Textdokumente wie Gesangbuchvorreden und einige wenige Briefe von Paul Gerhardt. Dazu kommen ein umfassendes Literaturverzeichnis, ein alphabetisches Liedregister sowie ein Personenregister. Dieses Buch ist für alle – und das sind nicht nur Theologen und Kirchenmusiker – eine unentbehrliche Quelle, die sich intensiv mit Paul Gerhardt und seinem Werk auseinandersetzen wollen.
Marianne Noeske
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 174ff.