Lockwood, Lewis: Beethoven. Seine Musik. Sein Leben / Aus dem Amerik. von Sven Hiemke. – Kassel: Bärenreiter, 2009. – XII, 456 S.: Abb.
ISBN 978-3-476-02231-8 : € 39,95 (geb.)
ISBN 978-3-761-82288-3 : € 19,95 (kt.) [2012]
Die amerikanische Originalausgabe von Lewis Lockwoods großer Beethoven-Biografie ist 2003 erschienen, wurde damals immerhin für den Pulitzer-Preis nominiert und aufgrund der großen Resonanz in der Öffentlichkeit bereits 2005 als Taschenbuch nochmals aufgelegt. Jetzt kann man sich anhand der Übersetzung von Sven Hiemke, der sich erst kürzlich als Herausgeber des Beethoven-Handbuch [s. Rez. FM 30 (2009), S. 356] mit diesem Komponisten intensiv auseinander gesetzt hat, auch in Deutschland einen Eindruck von jener umfassenden und lesenswerten Darstellung machen, deren Untertitel, „Seine Musik. Sein Leben“, ihre inhaltliche Gewichtung widerspiegelt: Ungefähr zwei Drittel des Bandes ist dem Werk gewidmet, und „nur“ ein Drittel befasst sich mit dem Werdegang des Komponisten; dabei beschäftigt sich Lockwood immer wieder mit der Wechselbeziehung zwischen Schaffen und Umwelt. Ein wesentlicher Teil der Werkbesprechungen geht folglich auf den gesellschaftlichen und politischen Kontext der Entstehungszeit ein und lotet den Grad der außermusikalischen Beeinflussung aus. In diesen Passagen zwingt Lockwood dem Leser zwar kein endgültiges Urteil auf, versucht aber, ihn durch viele Fakten zunächst zum eigenständigen Nachdenken anzuregen und erst danach mit überzeugenden Argumenten in bestimmte Bahnen zu lenken. Besonders bei den großen Werken – etwa der 9. Sinfonie – oder den für Beethoven zentralen Werkgattungen (Klaviersonaten und Streichquartette) wird man dabei mit manch neuem Aspekt konfrontiert. Gleichwohl kann sich Lockwood dem wissenschaftlichen Mainstream unserer Tage gelegentlich nicht ganz entziehen, etwa bei seiner ziemlich gnadenlosen Missbilligung der Schlachtenmusik Wellingtons Sieg, einer „schamlosen Konzession an den politischen Überschwang des Augenblicks“. Zwar gab es zu dem Stück von Anfang an kritische Stimmen, doch von der Massenware dieses damals beliebten Genres (etwa von Tobias Haslinger oder Franz Koczwara) unterscheidet sich Beethovens Beitrag qualitativ immer noch um Welten. Einem konzeptionellen Einwand gegen den Band versuchte Lockwood im Vorwort mit einer etwas fadenscheinigen Begründung zu begegnen: „Um die Erörterung von Beethovens Werken so allgemein verständlich wie möglich zu halten, wurden Notenbeispiele im Buch auf ein Minimum beschränkt.“ Doch gerade eine werkzentrierte Darstellung kann auf solche Ergänzungen eigentlich nicht verzichten, auch wenn die meisten Kompositionen Beethovens gut verfügbar sind. Dafür ist der Band nicht nur mit dem üblichen Personenregister ausgestattet, sondern enthält noch (viel zu häufig sonst fehlend!) ein systematisch strukturiertes Werkregister.
Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FM 31 (2010)