Oeck, Anja: Musiktheater als Chance. Peter Konwitschny inszeniert. – Berlin: Akademie der Künste, 2008. – 224 S.: 62 Photos
ISBN 978-3-88331-122-7 : € 22,00
Einer der bedeutendsten Opernregisseure der Gegenwart ist Peter Konwitschny, dessen Inszenierungen immer wieder für Furore sorgen. Von konventionell eingestellten Operngängern oft abgelehnt, begegnet ihm der Großteil des Publikums indes mit großer Offenheit. Diesem nicht unumstrittenen Regisseur hat die Redakteurin und Autorin Anja Oeck ihr neuestes Buch gewidmet. Damit ist ihr ein großer Wurf gelungen. Sie wartet nicht mit einer Biographie Konwitschnys auf. Vielmehr interessieren sie die „Bühnenergebnisse“ (S. 6) und „v. a. die Prozesse, die dahin führen“ (S. 6). Auf tiefschürfende Art und Weise rollt sie den Entstehungsprozess einer Konwitschny-Produktion vor den Augen des Lesers auf, lässt ihn teilhaben an der Entwicklung von Konzepten und deren Umsetzung bei den Proben. Das ist hochinteressant zulesen. Deutlich wird: Konwitschny ist – trotz vielfach vertretener gegenteiliger Ansicht – kein Vertreter des modernen Regietheaters. Im Gegenteil: Dieses lehnt er ab. Der Vorwurf, dass er die Werke zertrümmere, läuft ins Leere. Vielmehr inszeniert er „durch das Werk hindurch, nicht am Werk vorbei“ (S. 80), wobei er stets die Musik als Ausgangspunkt seiner Deutungen nimmt. Darin unterscheidet er sich von so manch anderem modernen Regisseur. Dass er die Stücke oft verfremdet und eine distanzierte Haltung zu ihnen einnimmt, steht auf einem anderen Blatt. Das hat schon Bertolt Brecht, dessen Arbeitsweise Konwitschny nacheifert, gut gekonnt. Der Einfluss von Brechts „Epischem Theater“ auf Konwitschny wird ausführlich anhand vieler Beispiele dargestellt. Insbesondere den vielfältigen Verfremdungseffekten wird von der Autorin viel Raum gegeben. Viele ihrer überzeugenden Ausführungen könnten genauso gut einem Lehrbuch für Regie oder Theaterwissenschaften entstammen. Man kann aus ihnen wahrlich viel lernen. Anhand von Begriffen wie „Werktreue“ oder „Regietheater“ wird, ohne dass Oeck ihn ausdrücklich nennt, der kulturpolitische Auftrag des Theaters problematisiert. Dabei wirken ihre Betrachtungen nie trocken und belehrend, sondern stets farbig und lebendig, was die Lektüre zu einem reinen Vergnügen macht. Mehr als andere ist dieses hervorragend geschriebene und sehr informative Buch geeignet, bestehende Vorurteile gegen den Regisseur Peter Konwitschny abzubauen und zur Auseinandersetzung mit seinen stets vorbildlich durchdachten Arbeiten anzuregen. Die Anschaffung des Bandes ist eine Investition, die sich lohnt. Der Leser wird seine helle Freude daran haben.
Ludwig Steinbach
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 265f.