Petru Munteanu: Violingeheimnisse aus 500 Jahren. Leopold Mozarts Violinschule im Kontext der Traditionen des Violinunterrichts. Eine violinmethodische Betrachtung. – Augsburg: Wißner, 2023 (Augsburger Schriften – Forum Musikpädagogik 160)
ISBN 978-3-95786-306-5 : € 49,80 (geb.)
In den 500 Jahren seit der Entstehung der Violine ist eine enorm große Anzahl von Violinschulen, Büchern und Schriften für diese entstanden. Sie unterweisen in den unterschiedlichsten Spielarten und geben Tipps für Lehrmethoden. Die Vielseitigkeit der Informationsmöglichkeiten ist vom pädagogischen Standpunkt aus verwirrend. Für den praktischen Gebrauch ist es unumgänglich, eine Systematik bzw. Ordnung zu finden. Diese ist Petru Munteanu mit seinem Buch hervorragend gelungen. Aufgrund des umfassenden Materials war es nötig eine Auswahl an Violinschulen zu treffen. Dabei bildeten Kriterien wie die Bekanntheit und die jeweilige Entwicklung bzw. Weiterführung der Geigentechnik vom 17. Jahrhundert bis heute eine entscheidende Rolle.
Neben einer kurzen Biographie des Autors der jeweiligen Violinschule illustrieren Noten und Bilderbeispiele den Inhalt und sorgen für Klarheit. Zur leichteren Vergleichbarkeit wurde eine stichwortartige Präsentation verwendet. Kurze Kommentare Munteanus weisen auf die Besonderheiten und Fortschritte in der Violintechnik hin.
Im Mittelpunkt des Buches Violingeheimnisse steht die Violinunterweisung von Leopold Mozart Versuch einer gründlichen Violinschule. Diese stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der Violinliteratur dar, war bahnbrechend für das Violinspiel und ist bis heute erfolgreich und fester Bestandteil im Lehrmaterial. Der Vergleich der unterschiedlichen Violinschulen mit Leopold Mozarts Violinunterweisung lässt uns die Problematiken der Lehre des Violinspiels wie die Thematiken Körper-, Geigen-, Bogenhaltung, erste Striche, erste Griffe, Lagenstudien etc. erkennen und lösen. In der Systematik von Leopold Mozart stellt Munteanu die Entwicklung der Spieltechniken der Violine dar – immer nach dem Motto „vom Einfachen zum Komplizierten“, was er selber in seinem eigenen Unterricht immer im Blickpunkt hatte. Leopold Mozarts Violinschule kann unter verschiedenen Gesichtspunkten, beispielsweise musikwissenschaftlich, violintechnisch oder interpretatorisch, betrachtet werden. So war sie beispielsweise nicht nur eine Anleitung zum technischen Spiel, sondern auch Inspiration zum „guten musikalischen Geschmack“ und für eine musikalisch ästhetische Allgemeinbildung.
Besonders interessant ist, dass die Violinschulen der verschiedenen Epochen auch Rückschlüsse auf Interpretationen und aufführungspraktische Details der Werke des jeweiligen Zeitraums erlauben, wie beispielsweise auf die Violinwerke u.a. Wolfgang Amadeus Mozarts.
Die Violingeheimnisse zeigen uns, wie vernetzt die Violinwelt schon damals war. L. Mozart hat nicht nur Ideen aus früheren Zeiten in seiner Schule übernommen, sondern übernahm in späteren Ausgaben auch Techniken von Giuseppe Tartini (1692-1710) und Francesco Geminiani (1697-1762). Die Bedeutung von L. Mozarts Violinwerk zeigte sich schon zu seinen Lebzeiten, da es beispielsweise bereits damals ins Holländische und Französische übersetzt wurde. Deutlich wird, dass er ein außergewöhnlicher Pädagoge war – mit großem Einfluss auf seinen Sohn Wolfgang Amadeus – nicht nur in der Vermittlung von technischen Fertigkeiten sondern darüber hinaus in der Förderung und Ausbildung zu einer Künstlerpersönlichkeit.
Das Buch Violingeheimnisse ist systematisch aufgebaut. Zunächst wird der Begriff Violinschule definiert. Die ausgewählten pädagogischen Lehrwerke beziehen sich auf vier Zeiträume (bis 1756 / nach 1756 / 1800-1850 / 1850-1900). Das anschließende Kapitel „Violinunterricht und die Violinschulen heute“ gibt einen Ausblick auf den Unterricht heute, die jeweiligen Problematiken und stützt sich auf das bisher Geschriebene. Es wird daher positiven Einfluss auf die Ausbildung zukünftiger Violinlehrer*innen haben und Julius Berger – Cellist und ehemaliger stellvertretender Leiter der Leopold-Mozart-Zentrums Augsburg – beschreibt es folgendermaßen: „Sein Buch ist eine Quelle der Inspiration für jeden Musikinteressierten, eine Vergegenwärtigung der kostbaren Erkenntnisse des Violinunterrichts vom 17. Jahrhundert bis in unsere Tage.“ (S. 8 )
Petru Munteanu wurde 1940 in Rumänien geboren und erhielt 1979 die deutsche Staatsbürgerschaft. Sein Violinstudium absolvierte er in Bukarest bei Prof. George Manoliu. Meisterkurse bei Juri Jankelevitsch und Michail Waiman in Moskau und St. Petersburg, prägten seine künstlerische Entwicklung. Mehr als 50 Jahre lehrte Munteanu an Musikhochschulen wie Bukarest, Lübeck, Hamburg, Rostock und am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg. Er initiierte Meisterkurse in vielen Ländern Europas und Asiens. Als Juror war er weltweit bei großen Wettbewerben, und war Gründer und künstlerischer Leiter des Internationalen Violinwettbewerbs im Kloster Schöntal (Baden-Württemberg).
Sein ganzes Leben widmete er der Violine und der Musik und veröffentlichte zahlreiche Publikationen und Vorträge zur Violinmethodik und zeigt nicht zuletzt mit diesem Buch seine Kompetenz. Aufgrund seines Wissens und seiner langjährigen Erfahrung schuf er eine Generation sehr guter Musiker*innen. Diese sind Mitglieder der besten europäischen Orchester wie z.B. Albena Danailova, die als erste als 1. Konzertmeisterin der Wiener Philharmoniker engagiert wurde, Hartmut Schill als 1. Konzertmeister der Robert-Schumann-Philharmonie und Lucja Madziar als 1. Konzertmeisterin beim ORF Radiosymphonieorchester Wien. Viele seiner Schüler*innen erhielten bei nationalen und internationalen Wettbewerben erste Preise. Beispielsweise gewann Baiba Skride 2001 den 1. Preis beim „Queen Elisabeth“ Wettbewerb in Brüssel und begann eine weltweite Konzertkarriere; Axel Strauss, der als einziger Deutscher den 1. Preis beim „Walter W. Naumbung-Competition“ in New York gewann, ist jetzt als Solist und Professor an San Francisco Conservatory of Music in den USA und in Montreal erfolgreich.
Ich hatte das Glück, bei Petru Munteanu hospitieren zu dürfen und konnte viele hilfreiche Hinweise in mein Geigenspiel integrieren. Munteanu starb am 17. November 2023, kurz nach Erscheinen des Buches. Die Zusammenfassung, Auswertung und Erklärung der Violingeheimnisse – nach denen er selber seinen Unterricht ausrichtete – sind letztendlich sein Vermächtnis geworden.
Jutta Heise
Hannover, 06.12.2023