Jochen Lebelt: Robert Schumann als Redakteur 1834 – 1844. Eine Studie über Robert Schumanns Tätigkeit als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik. ‑ Würzburg: Studio Verlag im Verlag Könighausen & Neumann, 2021. ‑ 356 S.: Abb. (Schumann-Studien Sonderband ; 8 )
ISBN 978-3-8260-7204-8 : € 49,80 (geb.)
Der Autor wagte das heikle Unternehmen, eine schon vor 34 Jahren als Doktorarbeit in der DDR, in Zusammenarbeit mit den dortigen Schumann-Gedenkstätten und ‑Archiven entstandene, aber unpubliziert gebliebene Arbeit über Schumann als Redakteur der Neuen Zeitschrift für Musik (NZfM) stark überarbeitet zu veröffentlichen. Dass es ihm dabei möglich war, die nicht geringen Erweiterungen unserer Kenntnisse über Schumann in den letzten Jahrzehnten zu verarbeiten, hat der Sache sicher gut getan, denn es sind aus heutiger Sicht kaum damals vielleicht noch unvermeidbare Fehler, Lücken und Fehlinterpretationen stehen geblieben. Eher ist es erstaunlich und erhellend, dass dieser erste Versuch einer Gesamtschau auf Schumanns redaktionelle Tätigkeit während eines Leipziger Jahrzehnts damals möglich gewesen und bis heute wertvoll geblieben ist. Allerdings befand und befindet sich der wichtigste Teil der zu durchforstenden Quellen und Dokumente für eine Befragung und kritische Darstellung dieser Periode des Schaffens von Schumann in Zwickau und Leipzig, mithin auf mitteldeutschem Gebiet, das damals zur DDR gehörte. Ideologische Verbrämungen, die damals in der Methodik des Forschens und bei der Interpretation des Erforschten üblich waren, will der Autor eliminiert haben. Der Gesamteindruck ist der, dass Lebelt unter den damals möglichen Bedingungen zwar sehr akribisch an den Quellen, aber mit einem nur mittelmäßigen interpretatorischen Aufwand gearbeitet hat, eine kleine Schwäche, die sich bis heute nicht vollständig beseitigen ließ.
Dem Autor gelingt es vor allem in einem ersten Kapitel, das er „Die Frühgeschichte der Neuen Zeitschrift für Musik“ nennt, das aber vor allem die Vorgeschichte und besondere Prädestination Schumanns für eine Tätigkeit als Redakteur behandelt, die besondere Ausgangssituation in Schumanns geistig-seelischer Verfassung in den 1820er Jahren zu beschreiben. Seine literarisch-musikalische Doppelbegabung ließ ihn zwar letztlich zum hauptberuflichen Musiker werden, er konnte aber seine poetisch-schriftstellerische Ader nie verleugnen. Seine Auffassung von Musik als komponiertes Wort führte ihn zu einer eigenwilligen romantischen Musikkonzeption, seine Auffassung von Musikkritik als einer literarischen Kunstform, in der die poetisierte Musik einen sprachlich adäquaten Resonanzraum finden soll, führte ihn zu einer anspruchsvollen Art der Musikschriftstellerei und seine Kritik des damals gegenwärtigen Musiklebens führte ihn in einem dritten Schritt zwangläufig dazu, dessen publizistische Beeinflussung in seinem Sinn selber in die Hand zu nehmen. Diese eng verzahnte und in sich konsequente Entwicklung schildert Lebelt detailliert und überzeugend und macht dabei die besondere Problematik des Charakters Schumanns deutlich. Lebelt gelingt es, die ideale Zielsetzung Schumanns bei der Gründung der Zeitschrift, aber auch die unausbleiblichen Querelen und Problemen bei ihrer technischen, kaufmännischen und musikgetreuen Umsetzung anschaulich zu berichten – die Mühen der Manuskriptbesorgungen und des Redigierens.
Der schwächste Abschnitt ist der über die von Schumann gewonnenen Mitarbeiter, in dem sich Lebelt fast nie zu einer etwas spezifischeren und individuellen Beschreibung der besonderen Eigenschaften und Qualitäten dieser Personen aufschwingt, sondern sie in einer pauschalen, summarischen und weitgehend statistischen, tabellarischen Darstellung verschwinden lässt. Vieles Interessante fällt hier einer rein statistischen Erfassung zum Opfer. Wobei auch Unstimmigkeiten auffallen. Um ein Beispiel zu geben, was dem Rezensenten besonders nahe liegt: Theodor Hagen war ein wichtiger Korrespondent Schumanns in Paris, der von dort aus 21 Musikfeuilletons, „Berichte aus Paris“ in den Jahren 1842/43 publizierte und zwar unter dem Pseudonym Joachim Fels, was vielleicht einer Erwähnung wert gewesen wäre, hier aber fehlt, obwohl sogar eine Liste der Signaturen und Pseudonyme erstellt wurde. In einer „Übersicht über die Ressortverteilung aus der Sicht der Mitarbeiter“ (deren weder alphabetisches noch chronologisches Ordnungsprinzips nebenbei bemerkt völlig undurchsichtig ist) taucht Hagen zwar nummerisch mit 15 Korrespondenzen auf, in einer weiteren Tabelle in der „dominierende Korrespondenten“ und ihre „Stellung im gesellschaftlichen Leben“ den Orten, aus denen die Korrespondenten berichteten, zugeordnet werden, taucht Hagen aber bei Paris nicht auf, wohl weil Lebelt ihn nicht für „dominierend“ hält, was angesichts der literarischen Qualität und dem Gegenstand der Beiträge Hagens nun gar nicht einsichtig ist. Auch die beiden von Hagen statistisch aufgelisteten „musiktheoretischen Abhandlungen“ werden nicht weiter inhaltlich benannt, es handelt sich aber um die Entwürfe zu einer ausgesprochen vormärzlichen Theoriebildung zu den Fragen von Zivilisation und Musik, um bedeutende Anläufe zu einer materialistischen Musikauffassung in einer originellen, noch vormarxistischen Weise, die Hagen später für einen Separatdruck als Buch verwendete.
Im Vergleich dazu werden andere Umstände und Verhältnisse übergebührlich ausführlich und minutiös erzählt und interpretiert, so Schumanns erste Rezension überhaupt, die er noch in der Allgemeinen musikalischen Zeitung veröffentlichte, über das Opus II von Fryderyk Chopin, die Variationen für Klavier und Orchester über Mozarts Duett „La ci darem la mano“ aus Don Giovanni. Der junge Schumann bewies hier sein Geschick, andere junge Talente sofort zu erkennen und öffentlich vorzustellen, wie er es auch mit Clara Wieck tat und noch lange später im Fall von Johannes Brahms wiederholte, sogar noch in einem späteren Jahrgang der NZfM, als diese schon längst einen anderen Redakteur hatte und zu einem Tendenzblatt der neudeutschen Richtung geworden war. Bezüglich Chopins wird hier nun spekuliert, welche der akribisch aufgelisteten Kompositionen Chopins im Umfeld von dessen Opus 2 Schumann noch bekannt gewesen sein könnten.
Weitere Vorstufen zur Redaktionsarbeit an einer eigenen Zeitung werden stichhaltig und instruktiv vorgestellt: Schumanns Beiträge zum Damen-Conversations-Lexikon und vor allem seine Entfaltung der Personage der Davidsbündler und das oszillierende Wechselspiel ihrer Protagonisten pro und contra verschiedener Einstellung zur Musik der Zeit. Immer wird klar, wie sich Schumanns Ideale an seinem romantischen Überschwang, aber auch an seinem literarischen Hang zu Ironie und Karikatur reiben.
Peter Sühring
Bornheim, 27.12.2021