Simon Robinson und Stephen Clare: Deep Purple in Rock. Der lange Weg zu einem Meisterwerk. – Höfen: Hannibal, 2018. – 168 S.: über 300 farb. und s/w Abb.
ISBN 978-3-85445-656-8 : € 25,00 € (Klappenbrosch.)
Wenn es einer Rockband gelingt, dass sich Fachjournalisten nicht nur mit dem Gesamtwerk beschäftigen, sondern ein einzelnes Album in den Fokus nehmen, dann zählt sie fraglos zu den prominenteren Vertretern ihrer Zunft. So wie bei Deep Purple. Man mag es belächeln, dass sich die Restbesetzung bis heute in der Rockerpose gefällt, während ihr ehemaliger Gitarrist Ritchie Blackmore in Strumpfhose bei Mittelalterfesten auftritt. Dass die Band vor einem halben Jahrhundert mit ihrem grandiosen Album In Rock die Entwicklung des Hard Rocks maßgeblich beeinflusst hat, wird aber wenig Widerstand auslösen. Simon Robinson, ein langjähriger Kenner der Band, und sein Co-Autor und musikalischer Berater Stephen Clare haben den Weg zu dieser LP nachgezeichnet. Für rockhistorisch interessierte Leser ist der bei Hannibal erschienene Band eine beeindruckende Sammlung von Informationen, Originalzitaten und Abbildungen von Porträts, Konzertplakaten, Plattencovern, Zeitungsausschnitten und vielen weiteren Memorabilien.
Die britische Band Deep Purple gehört nicht nur zu den bekanntesten Vertretern der härteren Rockmusik, sondern auch zu den langlebigsten. Noch immer, über 50 Jahre nach ihrer Gründung, ist Deep Purple im Aufnahmestudio und auf der Bühne zu hören. Bis auf den Schlagzeuger Ian Paice ist zwar keines der Gründungsmitglieder mehr aktiv. Mit dem Sänger Ian Gillan und dem Bassisten Roger Glover stehen aber zwei Musiker im Scheinwerferlicht, die zur legendären Mark II-Besetzung gehören. Vor genau einem halben Jahrhundert drehte sich das Personalkarussell zum ersten Mal bei der 1967/1968 gegründeten Band. Mit Gillan und Glover wurden zwei Musiker gewonnen, die sich den künstlerischen Ambitionen des Ausnahmegitarristen Ritchie Blackmore und seines ebenso talentierten Partners an der Orgel, Jon Lord, mit Begeisterung anschlossen. Nach den ersten drei Studioalben, auf denen die Bandmitglieder eine musikalische Sinnsuche zwischen klassischen und popbeeinflussten Stilrichtungen betrieben, konzentrierten sie sich ab 1969 auf eine härtere Gangart. Ein Jahr später erschien mit In Rock das Album, das wie kein zweites in der Frühphase des Hard Rock als das von Publikum, Kritikern und Buchhaltern gleichermaßen anerkannte Meisterwerk gilt. Kompromisslose Riffs, eine zielstrebig-konzentrierte Rhythmus-Gruppe, virtuose Orgel- und Gitarrenduelle sowie ein kraftvoller und ekstatischer Gesang hoben die auch kompositorisch außergewöhnlichen Songs auf ein Level, das für den Großteil der nachfolgenden Bands unerreichbar blieb. Zusammen mit den Kollegen von Led Zeppelin und Black Sabbath, die mit ihren ungefähr zeitgleich erschienenen Debut-Alben einen ähnlichen Eindruck hinterließen, machten Deep Purple eine musikalische Ansage, der an kraftvoller Virtuosität kaum etwas entgegengesetzt werden konnte.
Dass ein solches Album nicht als schöpferischer Urknall in die Plattenläden katapultiert wurde, sondern das Ergebnis langwieriger und aufreibender Proben sowie ständiger Entwicklung auf den Konzertbühnen ist, liegt auf der Hand. So heften sich die Autoren Robinson und Clare an die Fersen von Deep Purple, begleiten sie in Probenräume und Clubs, vergleichen verschiedene Versionen des Songmaterials, aus dem sich In Rock zusammensetzen sollte, inspizieren das Equipment der Musiker, sammeln Zeitungsschnipsel, Fotos, Plakate, Plattencover und Konzertinformationen und werten zahllose Originalinterviews mit den Musikern aus. Und trotz ihrer ausgesprochenen Band-Nähe übersehen sie auch nicht menschlich problematische Situationen. Der Austausch der Originalmitglieder Rod Evans und Nick Simper gegen Gillan und Glover zählt mit Sicherheit zu den weniger ruhmreichen Kapiteln in der Bandgeschichte. Und auch die urheberrechtlich bedenkliche Nähe des Klassikers Child in time zu dem Song Bombay Calling von It’s A Beautiful Day wird nicht unter den Teppich gekehrt.
Dass das Vergnügen bei der Lektüre dieses Buches dennoch nicht ganz ungetrübt ist, liegt zum einen an der sprachlichen Qualität, zum anderen an der Gestaltung der Publikation. Robinson und Clare sind intime Kenner der Band und ihrer Musik. Zu den sprachgewandtesten Autoren zählen sie leider nicht. Sich wiederholende Informationen, sprachliche Ungenauigkeiten oder die Aneinanderreihung von Zitaten lassen den Text eher wie einen Fanzine-Artikel wirken und nicht wie ein Fachbeitrag. So erfährt der Leser beispielsweise drei Mal hintereinander, dass Jon Lord den Orgelklang direkt an der Instrumentenrückseite abgenommen hat (S. 54). Als Erklärung für den außergewöhnlichen Sound ist dies von großer Bedeutung, in kondensierter Form hätte die Information jedoch denselben Erkenntnisgewinn gehabt. Ein eindämmendes Lektorat aus dem Verlag hätte in dieser Hinsicht der Publikation sicher nicht geschadet. Auch die Gestaltung überfordert den Leser in mancher Hinsicht. Das Schriftbild ist sehr klein und die Lesbarkeit leidet zu oft unter dem sich überlagernden Layout von Texten und Abbildungen. So braucht man bei der Lektüre durchaus etwas mehr Zeit und Konzentration sowie eine recht starke Lesebrille. Vielleicht sollte man nebenbei die Platte laufen und sich eine akustische Verjüngungskur auf die Ohren blasen lassen. Wählt man hierzu die 1995 erschienene CD-Veröffentlichung zum 25. Geburtstag, erhält man in dem 24-seitigen Booklet eine Kurzfassung der Geschichte dieses Meisterwerks, ebenfalls von Simon Robinson. Ähnlich klein gedruckt, aber wesentlich konzentrierter.
Michael Stapper
München, 31.03.2019