Jürgen Schläder [u.a.]: Wie man wird, was man ist – Die Bayerische Staatsoper vor und nach 1945 – Leipzig: Seemann Henschel, 2017. – 455 S. : Abb. s/w u. Farbe, Literaturverz., Namensreg.
ISBN 978-3-89487-796-5 : € 29,95 (geb.)
Zur Geschichte des Königlichen Hof- und Nationaltheaters in München (nachmalig: Bayerische Staatsoper) gehören viele Uraufführungen. Partes pro toto: Pfitzners Palestrina (1917) und Reimanns Lear (1978). Das Haus wurde zweimal zerstört, zuletzt 1943 im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. Der stilgetreue Wiederaufbau 50 Jahre später wurde von starken nationalen Empfindungen begleitet. Bei allem Respekt vor solchen Emotionen: ihnen eignet mitunter ein Hang zu Schönfärberei. Die schlimmen Jahre des Nationalsozialismus sind an kaum einer Institution vorbei gegangen, auch nicht an solchen, welche kulturelle Unangreifbarkeit für sich in Anspruch nahmen. Diesem Faktum stellt man sich heute nüchterner als noch vor einigen Jahren. Das Geleitwort des Staatsintendanten Nikolaus Bachler in dem an der Münchner Maximilians-Universität von kollektiv erarbeiteten Buch macht bewußt, daß dabei „liebgewonnene Vorstellungen über die Reinheit der Kunst“ (S. 6) durchaus über Bord gehen können. Auch fordert er, daß der viel beschworene Repräsentationscharakter von Opernproduktionen einer kritischen Beleuchtung unterzogen werden müsse. Betrachtungen über „ästhetische Dimensionen der Aufführungen 1933-1963“ (S. 350-415) sind also ein wichtiges Buchkapitel, die detaillierten Beschreibungen aber kaum angemessen zu resümieren.
Noch stärker lohnt ohnehin die Beschäftigung mit Repräsentanten des Instituts, welche sich in den Hitler-Jahren anpasserisch verhielten. Der Dirigent Clemens Krauss, welcher in München die „Erfüllung aller Opernträume“ (S. 216) fand, war politisch zwar nicht wirklich aktiv, gilt aber doch als „Inbegriff des „problematischen NS-Nutznießers“ (dto). Richard Strauss wiederum („opportunistisch, egoistisch“ – S. 236) wird als „systemstabilisierend“ (dto) eingestuft. Ein besonderer Andiener während der „braunen“ Jahre war Rudolf Hartmann, unter Krauss Operndirektor und erster Regisseur am Münchner Haus und mit seinen repräsentativen Inszenierungen bei den Parteigrößen überaus geschätzt. Briefe an Hitler unterschrieb er mit „in dankbarer Verehrung und treuer Ergebenheit.“ (S. 300). Devotheit ist nun freilich nicht strafbar. In den Entnazifizierungsprozessen stellte Hartmann seine Ziele wie folgt heraus: „Die ausschließliche Beschäftigung mit künstlerischen Dingen erschien mir als eine so verpflichtende Daseinsform, daß weder der innere noch der äußere Ablauf meines Lebens durch irgendwelche andere Umstände beeinflußt werden konnte.“ (S. 301). Als „Repräsentationskünstler“ (Kapitelüberschrift S. 303) verstand es Hartmann, nach 1945 bis 1967 wieder nachhaltig Fuß in München zu fassen. Auch Bayreuth griff bei der Neueröffnung der Festspiele 1951 auf Hartmann zurück, obwohl dort mit der „braunen“ Vergangenheit eigentlich aufgeräumt werden sollte. Aber auch die Nähe des jungen Wieland Wagner zu Hitler sorgte ja für Irritation.
Das Buch bietet eine Fülle weiterer Schicksalsbeschreibungen. Allen Darstellungen ist angesichts langer Forschungsarbeiten Glauben zu schenken.
Christoph Zimmermann
Köln, 28.06.2018