Schrift und Klang in der Musik der Renaissance / Hrsg. von Andrea Lindmayr-Brandl [Ingeborg Allihn]

Schrift und Klang in der Musik der Renaissance / Hrsg. von Andrea Lindmayr-Brandl, unter Mitarb. von Lars Laubhold u. Irene Holzer. – Laaber: Laaber, 2014. – 560 S.: 190 s/w-, 15 Farb-Abb., 12 Notenbsp. (Handbuch der Musik der Renaissance ; 3)
ISBN 978-3-89007-703-1 (Bd. 3), 978-3-89007-700-0 (Reihe) : € 98,00 (geb.)

Schrift und Klang – der Herausgeberin und ihren sechs MitstreiterInnen ist es in diesem dritten Band des Handbuchs der Musik der Renaissance vorbildlich gelungen, den Zusammenhang und die vielfältigen und so unterschiedlichen Beziehungen von Schrift und Klang innerhalb der rund 500 Jahre Musikgeschichte in einer klaren Sprache und durchaus mit Empathie darzustellen. Zu Recht betont die Herausgeberin in der Einleitung, „dass uns aufgrund der großen zeitlichen Distanz die klanglichen Erscheinungen dieser Musik fremd“ und „die Notenschrift […] weitaus komplexer und intellektuell anspruchsvoller als unsere moderne Notenschrift“ sind. Unter vier übergeordneten Themen: Die Notenschrift; Die musikalischen Quellen (einschließlich eines umfangreichen Quellenlexikons mit 45 kommentierten Beispielen); Zeitgenössische Aufführungspraxis; Aktuelle Realisationen werden Schrift und Klang, häufig im gesamtkulturellen Kontext, analysiert und ihr jeweiliges und durchaus nicht immer unproblematisches Verhältnis dokumentiert. Nach jedem Unterkapitel folgen die Anmerkungen mit Hinweisen auf weiterführende Literatur.
Das erste Kapitel widmet sich den unterschiedlichen Kategorien der Notenzeichen, stets dokumentiert durch Beispiele wie die Guidonische Hand; es geht um Halbtöne und Vorzeichen, um Ligaturen, metrische Regeln u.ä. „Bis heute“, schreibt Lindmayr-Brandl, „ringen wir um das volle Verständnis der unterschiedlichen und schwer fassbaren rhythmisch-metrischen Verhältnisse, die sowohl zeitlich als auch geographisch differenziert gesehen werden müssen.“ (S. 31) Vorgestellt werden u.a. von Klaus Aringer Orgel- und Lautentabulaturen; ferner werden Aspekte der Forschung auf diesem Gebiet erörtert. Absolut spannend ist dann Michael Malkiewiczs Präsentation der Tanznotation, jener Posen, Schritte und Bewegungsabläufe u.ä., für die – völlig anders als bei der Aufzeichnung von Musik – kein allgemein gültiges Notationssystem entwickelt wurde. Im nächsten Kapitel Die musikalischen Quellen wird das Gegensatzpaar Handschriften und Drucke diskutiert, aber auch konträre Quellentypen wie Chorbücher und Stimmbücher u.a. Fünf AutorInnen stellen dann im Quellenlexikon 45 online-zugängliche Beispiele vor, geben Hinweise auf weiterführende Literatur, auf Abbildungen, auf Einspielungen u.a. Vorbildlich beschreiben im folgenden Kapitel Martin Kirnbauer und Arnim Brinzing die Zeitgenössische Aufführungspraxis in ihrer Grundproblematik, nämlich auch hier der Differenz zwischen Notenbild und Klangbild. Es gibt interessante Antworten auf die Frage, ob die Vokalmusik dominant gewesen sei u.ä. Zu Recht weist Thomas Seedorf in dem dieses spannende Kapitel abschließenden Ausblick darauf hin, dass „die Rekonstruktion der vokalen Klangwelt der Renaissance […] ein >work in progress< (ist), und jede Annäherung an diese verstummte Musik […] notwendigerweise vorläufig und unvollkommen (bleibt).“ (S. 352) Als „wesentlichste Quelle für die Musik früherer Zeiten“ (S. 356), so Martin Kirnbauer, stellt sich das historische Instrumentarium dar, das in Traktaten, durch bildliche Darstellungen und Schulwerke überliefert ist. Ihr gründliches Studium ist die Voraussetzung, sich der „Musik früherer Zeiten sowohl im Verständnis als auch im Klangbild an(zu)nähern.“ (S. 406)
Im Schlusskapitel geht es um Aktuelle Realisationen, um Editionsgeschichte wie Denkmäler-Ausgaben oder die Übertragung der Mensuralnotation in unsere moderne Notation. Dass Interpretationsgeschichte zugleich eine Rezeptionsgeschichte ist, demonstriert Fabrice Fitch an ausgewählten Beispielen, um dann zum Schluss „existentielle Fragen“ aufzuwerfen, nämlich „warum wir uns (auch) früher Musik zuwenden. Aus der Beantwortung“, so Fitch, „könnten sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts durchaus neue Anstöße für künftige Interpretationen ergeben.“ (S. 488) Eine Diskografie ergänzt dieses Schlusskapitel. Der Anhang enthält ein Glossar, ein Literaturverzeichnis, ein Personenregister und Auskünfte über die Autoren.

Ingeborg Allihn
Berlin, 25.03.2017

 

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