Clara und Robert Schumann in Dresden – eine Spurensuche / Hrsg. von Hans-Günther Ottenberg – Köln: Dohr, 2014. – 283 S.: Abb.
ISBN 978-3-86846-106-0 : € 29,80 (geb.)
Hans-Günther Ottenberg, als Gesamtherausgeber und -redakteur dieses prächtigen Bild- und Textbandes benannt, hat zwar zu Schumann bisher vergleichsweise wenig publiziert, ist aber als langjähriger Musikprofessor an der TU Dresden mit etlichen Publikationen zur Musikgeschichte Dresdens hervorgetreten und sollte hier für Qualität bürgen.
Das Ehepaar Schumann gehört nun auch zu einem guten Teil zur Musikgeschichte Dresdens, so wie umgekehrt diese Stadt zu einem guten Teil zur Lebensgeschichte der Schumanns gehört. Und so lässt Ottenberg der Mitherausgabe eines wissenschaftlichen Bandes mit der Dokumentation eines Symposiums über die biographischen, kompositionsgeschichtlichen und soziokulturellen Aspekte der Dresdner Jahre der Schumanns (Verlag Dohr 2010) nun einen für ein breiteres Publikum gedachten informativen und reich bebilderten Band zum gleichen Thema nachfolgen. Es ist speziell für die Dresdner Schumann-Liebhaber und solche, die es werden wollen, so wie für alle Schumann-Kenner außerhalb Dresdens ein äußerst nützliches und gewinnbringendes Unternehmen daraus geworden.
Die Initiative zu diesem Buch, dessen ideelle und redaktionelle Oberschirmherrschaft Ottenberg übernommen hat, ging von einer studentischen Autorengruppe der TU Dresden aus, die zum Schumann-Jahr 2008 damit begann, einerseits die Spuren des Künstlerehepaars Schumann in der Stadt von heute zu suchen, andererseits die Bewohner Dresdens im 21. Jahrhundert auf die Schumanns aufmerksam zu machen und mitzuhelfen, dass Dresden als Schumannstadt ‑ nicht nur in Dresden selbst ‑ stärker ins öffentliche Bewusstsein gehoben und verankert wird. Mithilfe von Recherchen in allgemeinen Musikarchiven und den speziellen Schumann-Archiven in Zwickau und Bonn sowie von Exkursionen zu Schumann-Orten in und um Dresden herum ist dies auf eine sehr anschauliche Weise und unter Beteiligung einer Reihe praktischer Musiker, die sich für die Werke der Schumanns in Dresden einsetzen, gelungen. Der Band hat so zwar ein starkes Lokalkolorit, verortet das komponierende und musizierende Ehepaar aber dadurch im realen Leben einer musikbeflissenen Stadt, damals wie heute. In Kooperation mit renommierten Schumann-Forschern ist ein Kompendium entstanden, das zwar nicht viel Neues bringt, aber das Wissenswerte in komprimierter und bebilderter Form vorstellt und einige persönliche Bekenntnisse zu Schumann vermittelt.
Gerd Neuhaus’ gesamtem Lebensbild Robert Schumanns hätte man gerne ein solches von Clara an die Seite gesellt gesehen. Wie schon in dem Kongressbericht werden hier die Themen der gesellschaftlichen Umbrüche in Sachsen und Dresden (Sara Koid), des Familienlebens der Schumanns (Kathleen Goldhammer) wie ihr Umgang mit Freunden aus der Dresdner Umwelt der Künstler und Wissenschaftler beleuchtet, hier aber komprimiert und dafür anschaulich illustriert, mehr im Stil eines Ausstellungskatalogs. Ottenbergs Versuch, auf 38 reich bebilderten und mit zeitgenössischen Dokumenten der damals aktuellen Schumann-Rezeption bestückten Seiten zu schildern, wie Robert Schumann durch sein kompositorisches Schaffen in Dresden in die Rolle eines Praeceptor musicae Germaniae hineingewachsen sei, wäre besser durch kritische Fragen an solch ein Konzept bereichert worden. Denn es scheint durchaus problematisch zu sein, wenn allein durch die Wahl programmatisch großer Stoffe wie Manfred und Faust der Musik zu einer künstlichen Größe verholfen werden soll, die sie allein für sich stehend gar nicht erlangen könnte.
Wolfgang Mende gelingt es, wiederum durch viele Dokumente belegt, recht gut, die schwankende Haltung der Schumanns zur 1848er Revolution zu verdeutlichen: sie hegten Sympathie für deren Ideale, mussten dafür aber deren Gewalttätigkeit verdrängen. Clara Schumanns erstaunlich vielfältige musikalische Aktivitäten als Pianistin und Komponistin werden von Albertine Selunka ausgebreitet. Mehr als 150 Jahre Aufführungstradition Schumannscher Werke in Dresden seit Robert Schumanns Tod werden auf 65 Seiten des Bandes dokumentiert. Zunächst gibt Ottenberg eine Gesamtchronologie und dann befassen sich Einzelbeiträge speziell mit den Aufführungen von Staatskapelle und Staatsoper sowie Dresdener Philharmonie (beide von Anne Neubert) und Kreuzchor (Uta Dorothea Sauer). Es gab in Dresden für Schumann durchaus schlechte Zeiten, in denen die Aufführungen seltener wurden oder auf ein Minimum des Werkbestands zusammenschrumpften. Dazu ist besonders die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zu rechnen; während der gesamten Naziherrschaft wären es ohne die missbräuchliche, propagandistisch aufgeputzte, verfrühte Uraufführung des von Clara gesperrten Violinkonzerts nur drei statt vier Schumann-Aufführungen gewesen.
Die dokumentierten aktuellen Umfrageergebnisse geben kaum mehr als das zu erwartende Bild von Schumanns Rolle im Alltagsleben der heutigen Dresdener, wobei unschwer zu erraten ist, welche seiner zu Recht populären Stücke weiterhin die meisten Reminiszenzen hervorrufen und dementsprechend hohe Umfragewerte erzielen konnten. Nicht immer vielsagende persönliche Bekenntnisse lebender Schumann-Interpreten beschließen den Band. Insgesamt gibt dieses kommentierte Bilderbuch einen nicht nur oberflächlichen Einblick in die gesuchten und gefundenen Spuren der Schumanns in einer Stadt ihres Wirkens über einen Zeitraum von 160 Jahren (Inhaltsverzeichnis).
Peter Sühring
Berlin, 01.12.2014