Seuthe, Dieter David: Frankfurt verboten. Roman – Frankfurt a. M.: weissbooks, 2013. – 370 S.
ISBN 978-3-86337-049-7 : € 22,90 (geb.)
Diether David Seuthe ist in literarischer Hinsicht Quereinsteiger; seinem Brotberuf als Psychotherapeut geht er in Frankfurt am Main nach. Diese Stadt mit ihrer unbestreitbaren Bedeutung für die Musikgeschichte, zu der das berühmte Hoch’sche Konservatorium einen nicht unbeträchtlichen Beitrag leistete, inspirierte den musikliebenden Seuthe offenbar zu seinem Erstlingsroman Frankfurt verboten, der nunmehr im Druck vorliegt. Der frischgebackene Autor befasst sich hier in ambitionierter Weise mit einem wichtigen Thema und erzählt eine Geschichte, die – obgleich fiktiv – sich wohl in vergleichbarer Weise hundertfach während der Schreckensjahre des Nationalsozialismus ereignet hat und die Erfahrungswelt einer ganzen Generation von Musikerinnen und Musikern prägte.
Protagonistin des Romans ist die junge Jüdin Elise Hermann, die von einer Karriere als Pianistin träumt. Inspiration und Ermutigung findet sie vor allem bei ihrer vielleicht wichtigsten Bezugsperson, der geliebten Großmutter: „Die lebhaften Erzählungen der Großmutter, die als fünfjähriges Mädchen Clara Schumann bei ihrem Konzert mit Johannes Brahms und der ‚schwedischen Nachtigall‘ Jenny Lind im prächtigen Kursaal von Bad Ems erlebt hatte, waren Elise sehr präsent.“ (S. 16) Doch schon bei Elises erstem großen Auftritt, mit dem die dringend nötige Staroperation der beinahe schon erblindeten Großmutter finanziert werden soll, bricht die nationalsozialistische Ideologie sehr unmittelbar über das beschauliche Bad Ems herein, als die Hitlerjugend das Konzert bei Debussys Claire de Lune mit Pfiffen und hetzerischen Parolen jäh zu beenden droht. Der bisher latent schwelende Antisemitismus nimmt nun auch für Elise bedrohliche Züge an und zerstört überdies beinahe die tiefe Freundschaft zu ihrem bildnerisch begabten, homosexuellen Mitschüler Arno, der in eine selbstzerstörerische Liebe zu einem Mitglied der HJ verstrickt ist.
Dennoch stellt sich die Mehrheit des Publikums in eindeutiger Weise auf die Seite der jungen Pianistin, und das Konzert wird für sie zu jenem Sprungbrett, das sie 1929 zum ersehnten Studium an Dr. Hoch’s Konservatorium führt, wo sie später auch Arno wiederbegegnen und sich mit ihm versöhnen wird. In der „Freien Reichsstadt“, deren Geschichte und örtliche Gegebenheiten Seuthe durch den Sohn von Elises Gastgeber, der sie am Bahnhof abholt, lehrreich umreißen lässt, trifft die junge Elise auch auf ihre große Liebe: Max von Hochem, der einer verarmten Adelsfamilie angehört. Doch das junge Glück wird zunehmend vom stetig an Macht gewinnenden Nationalsozialismus und von familiären Unglücksfällen überschattet. Schon bald ist absehbar, dass ein wirkliches „Happy End“ unerreichbar sein wird. Auch Elises gerade im Erblühen begriffene Karriere als Pianistin wird durch das 1935 erlassene Auftrittsverbot für jüdische Künstler im Keim erstickt, und als die Bedrohung immer greifbarer wird, schließt sich Max der NSDAP an, um sie zu schützen. Doch auch dies ist nicht genug. Schweren Herzens erkennen die jungen Liebenden schließlich, dass als einzige Rettung nur noch ihre Trennung und Elises Flucht bleibt. Sie emigriert nach Neuseeland, wo sie unter dem Namen Alice versucht, ein neues Leben zu beginnen.
Elise Hermanns persönliche Geschichte, ihre Hoffnungen, Ängste und ihre Kunst bilden den größten Teil von Seuthes Roman. In vier kurzen Kapiteln aber führt der Autor seine Leserschaft auch in die Gegenwart, zu Elises Tochter, die ebenfalls das Klavier zu ihrem Beruf gemacht hat und für die sich das ganze Trauma jener Jahre erst durch den Nachlass ihrer verstorbenen Mutter erschließt.
Dieter David Seuthe, dessen Faszination für seine Heimatstadt man beim Lesen auf durchaus sympathische Weise spürt, hat sichtlich im Vorfeld seiner Arbeit sorgfältig recherchiert. Er integriert wichtige Persönlichkeiten des Frankfurter Musiklebens der Zeit wie den Komponisten und Konservatoriumsdirektor Bernhard Sekles und den ungarischen Jazzmusiker Mátyás Seiber, dessen Klasse am Konservatorium eine bedeutende Vorreiterrolle für die Jazzausbildung in Europa einnahm, in seine Handlung. Der österreichische, „spätberufene“ Pianist Fritz Malata wird dabei zu Elises Schopenhauer zitierendem Frankfurter Klavierlehrer. (Vgl. S. 95) Dass Seuthes Schreibstil nicht im eigentlichen Sinn als virtuos bezeichnet werden kann und er sich, wohl berufsbedingt, gelegentlich in der psychologischen Ausdeutung der Handlungsmotive seiner Protagonisten zu verlieren droht, was die Lebendigkeit der Charaktere etwas beeinträchtigen mag, tut der Leseempfehlung, die an dieser Stelle ausgesprochen werden kann, kaum Abbruch. Bei „Frankfurt verboten“ handelt es sich um ein Buch, das gerade auch SchülerInnen der Mittel- und Oberstufe ans Herz gelegt werden kann; insbesondere solchen, die sich für Musik interessieren. Es ist vorstellbar, dass es eine gute und unmittelbare Ergänzung zum Geschichtsunterricht bilden könnte, der oft nicht auf jene Einzelschicksale einzugehen vermag, die so wichtig dafür sind, dass die Grauen des Nationalsozialismus im Bewusstsein junger Menschen nicht zu abstrakten Gruselgeschichten verblassen.
Michaela Krucsay
Leoben, 24.10.2014