Zhu, Xiao-Mei: Von Mao bis Bach. Wie ich die Kulturrevolution überlebte. / Übers. von Anna Kamp. – München: Kunstmann, 2009. – 287 S.: s/w-Abb. (Originaltitel: La Rivière et son secret)
ISBN 978-3-88897-557-8 : € 19,90 (geb.)
Das unbeschreibliche Leben der musikalisch hochbegabten Xiao-Mei wird von der ersten Seite an packend erzählt. Man mag das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Für die aus einer nach Maos Werteskala ‚schlechten Familie‘ stammende kleine Musikerin sorgt das gutbürgerliche Zuhause von Kleinauf für Schwierigkeiten und Verfolgung. Der politische Wahn eines Besessenen reißt unter dem Vorwand, bessere Lebensbedingungen für die Unterdrückten der Gesellschaft schaffen zu wollen, ein Volk in den Abgrund. Die Kulturlosigkeit der politischen Ignoranten macht alles platt. Haben schon andere über diese unvorstellbare Brutalität dieser machtpolitischen Vorgänge erzählt, verbinden sich diese nun mit dem Leben eines jungen Mädchens. Das Konservatorium gerät in den Strudel der politischen Säuberungen und die junge Pianistin findet sich in einem politischen Anpassungsprozess wieder, der schließlich zur Abkehr von einer ins Banale abgerutschten Musikausübung führt. ‚Ein Konservatorium ohne Musik‘ hatte der große Mao schließlich erfunden. Bis auf einige wenige von den Lehrern der Ausbildungsstätte komponierten Musikstückchen, die alle 400 Studenten gleichzeitig zu spielen hatten, war die musikalische Substanz zusammengeschrumpft – unfasslich. Die Gleichmacherei als Lebensmaxime. Was für ein Start. So wird die musikalische Ausbildung durch Umerziehung, Gehirnwäsche und mehrjähriges Lagerleben vollkommen überlagert. Doch der Drang, Musik zu machen, lässt sich durch Ideologie nicht tot machen. So begleitet der Leser die tapfere, mutige, leidensfähige und von Musik besessene Xiao-Mei auf ihrem steinigen Weg zum Erfolg. Als die Konservatorien des Landes wieder zu einer Art Normalität zurückfinden, ist sie im klassischen Sinne zu alt für alles. Niemand will ihr zutrauen, nun doch noch eine ausübende Künstlerin zu werden. Sie selbst kann es auch kaum noch glauben. Dennoch setzt sie durch, ein Examen abzulegen. Schließlich in Amerika und später in Paris hat sie es mit unterschiedlichen Lebensweisen und Lebensanschauungen zu tun und findet schließlich zu der einzig wahren Einstellung dem Leben gegenüber. Ausgehend vom Bild der Wasseroberfläche, die nur dann den Blick in die Tiefe zulässt, wenn diese ganz ruhig sei, gelte dies auch für den Geist (S. 215). Die Jahre des Leidens und Durchhaltens und die bis zu diesem Zeitpunkt noch fehlende Karriere haben Xiao-Mei moralisch gestärkt. Zu tun, was zu tun ist, ohne nach Anerkennung und Erfolg zu fragen, sei das Eigentliche, lautet ihr Fazit. „Manchmal führt das, was man ohne Absicht tut, am ehesten zum Ziel.“ (S. 216) Sie erlaubt uns tiefe Einblicke in ihren musikalischen Reifungsprozess. Wertvolle musikalische Erkenntnisse! Am Ende steht der Erfolg. Sehr spannend. Ein MUSS.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 378f.