Ender, Daniel: Richard Strauss – Meister der Inszenierung. – Köln [u.a.]: Böhlau, 2014 – 349 S.: 27 s/w-Abb., Namensregister, biografische Zeittafel, Literaturverzeichnis
ISBN 978-3-205-79550-6 : € 24,90 (geb.)
In einem FonoForum-Beitrag von Julia Spinola über Richard Strauss als Schallplattendirigent (6/2014) war u.a. dieser Satz zu lesen: „Dass politische Integrität und menschliche Größe sich offenbar in anderen Gehirnarrealen abspielen als musikalisches Genie und Einfühlungsvermögen, ist keine neue Erkenntnis.“ Ähnliches wäre auch über einen der Jubilare des Vorjahres, nämlich Richard Wagner, zu sagen. Allerdings ist zu bedenken, dass der Nationalsozialismus das Öffentlichkeitsbild beider Komponisten verfälschend mitbestimmte, bei Wagner posthum, bei Strauss mit dessen Zutun. Ob dabei ideologische Überzeugung oder purer Opportunismus im Spiele war, ist nicht bis ins letzte Detail geklärt. Auch für Franz Ender, Autor einer neuen Strauss-Biografie, bleiben Fragen offen. Prinzipiell zieht er jedoch ein klares Fazit, wie jüngst auch in einem Beitrag für den österreichischen Standard formuliert: Selbst „wenn sich die Widersprüche in Strauss’ Biografie und seinem Verhältnis zum Dritten Reich nicht auflösen lassen, spricht … aus seinem Verhalten mehr bewusstes Augenverschließen als harmlose Naivität …. Ein überzeugter ‚Nazi‘ war er aber wohl ebenso wenig wie ‚unpolitisch‘“. Gemäß diesen Worten wäre Strauss also eine Art Chamäleon, weniger mit Intellekt als mit Instinkt (re)agierend. Dass bei alledem eine starke, vielleicht sogar rücksichtslose Egomanie am Werke war, unterstreicht Enders Buch mit dem Untertitel Meister der Inszenierung. Schon Vater Strauss, der berühmte Hornist, ermahnte seinen Filius: „Selbstbewusstsein lasse ich mir ja … gefallen, aber bis zur Krankhaftigkeit darf es nicht kommen“ (S. 100).
Die frühen Werke von Strauss wurden anfangs als umstürzlerisch, gleichzeitig häufig als inhaltslos bewertet. Eduard Hanslick über Aus Italien: „Raffinement bei Dürftigkeit des schöpferischen Gedankens.“ (S. 86). Später galt der Komponist hingegen als Repräsentant des Konservativismus. Wenn aber die Symbiose von beidem zu einem Werk wie der Elektra führten konnte, spielt Genialisches unzweifelhaft mit. Das ist sogar die Überzeugung eines Avantgardisten von heute, Helmut Lachenmann, der seine Bewunderung für den Tonmaler Strauss sogar mit der oft als äußerlich-plakativ abgekanzelten Alpensinfonie begründet. Konservativ sah Strauss übrigens auch die Zukunft der Oper: er wollte ein Museum für einige wenige ausgewählte Werke, mit den meisten der seinen als besonderem Blickfang. Das heutige Verständnis von Theater und Regie würde er kaum mitgetragen haben.
So bizarr einige künstlerische Äußerungen von Strauss anmuten, so heterogen wirkt auch sein Charakter. In den Worten von Otto Erhardt, Uraufführungs-Regisseur der Ägyptischen Helena: „Naiv und raffiniert, altruistisch und egoistisch, freigiebig und knauserig“ (S. 20). Zu diesem nachgerade abgründigen Kontrast trägt Daniel Enders Buch ungeheuer viele Belege zusammen, welche nicht nur den Künstlermenschen Strauss streng ins Visier nehmen, sondern auch seine Entourage, Fan-Gemeinde wie Journalisten-Crew. Dass mit seiner bewundernswert fleißigen, zitatfreudigen und geschliffen formulierten Arbeit das Kapitel Strauss abgeschlossen ist, glaubt der Autor selber nicht ganz. Zumindest steht (Anm. S. 291) für 2015 noch die Edition der privaten „blauen Tagebücher“ an.
Christoph Zimmermann
Köln, 23.06.2014