Völlinger, Andreas (Text) und Flavia Scuderi (Ill.): Wagner. Graphic Novel – München: Knesebeck, 2013 – ca. 48 S.: s/w u. farb. Abb.
ISBN 978-3-86873-588-8 : € 19,95 (geb.)
Wagners wahnsinnige Welt in Bildern? Ja, das geht! Andreas Völlinger, erfahrener Comic-Autor und Redakteur, wagte sich mit der bei Knesebeck erschienenen Graphic Novel an Leben und Werk eines der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Komponisten der Musikgeschichte. Verantwortlich für die gelungene cartoonistische Umsetzung zeichnet die Illustratorin Flavia Scuderi. Sich auf die Spuren einer derart zwiespältigen Künstlerperson wie Richard Wagner zu begeben, war zweifelfrei ein Wagnis. Völlinger und Scuderi ließen sich darauf ein – mit Erfolg.
Das überdimensionalgroße Eingangsbild zeigt den 12-jährigen Hans von Bülow, wie er in Dresden begeistert der Uraufführung von Rienzi lauscht. Die Leser treten also recht unvermittelt in die geniale Welt eines Künstlers ein, welche ebenso von Polygamie, Antisemitismus und einem Streben nach politischer Emanzipation geprägt ist. Die gewählte Erzählperspektive veranschaulicht stets einen allgegenwärtigen Zwiespalt. Bülow lernte den Komponisten bei vielen Besuchen näher kennen und stellte sein Schaffen als Dirigent und Musiker ganz in den Dienst Wagners. Selbst als Wagner ihm seine Frau Cosima ausspannt und Bülow sich von ihm distanziert, kommt er nicht von ihm und seiner Musik los. „Die gewählte Perspektive ist stark, denn so kann das Leben Wagners aus der Perspektive eines Mannes erzählt werden, der ihm immer wieder nahe kam, der ihm zeitweise fast hörig war und der dennoch wie beiläufig wahrnehmen durfte, dass es im Leben Wagners immer nur einen Stern gibt – und der hieß Wagner“, umschreibt es Autor Völlinger treffend in einem Interview mit dem SWR (Kulturgespräch, 22.5.2013, Pointierte Wagner-Welt).
Neben Bülow tauchen in der Graphic Novel eine Reihe anderer berühmter Zeitgenossen, wie Gottfried Semper, Heinrich Heine, Franz Liszt, Friedrich Nietzsche oder sein Gönner König Ludwig II. auf. Und: Wagner spielt sich selbst in der Hauptrolle mit Bravour: Widersprüchlich bis ins letzte Wort, narzisstisch und besserwisserisch. Wer seinen Charakter noch nicht kennen gelernt hat und sowieso nicht gerne dicke Wälzer liest, ist mit dieser Biografie gut bedient. Denn was in Texten manchmal umständlich beschrieben werden muss, funktioniert im Comic ganz von alleine. Die Lebensstationen des Komponisten, der immer nach einem Ideal strebte, bekommen durch die bewegte Bebilderung einen neuen Anstrich. Die Illustratorin Scuderi versteht ihr Handwerk. Die farblich reduzierten, teilweise großflächig gestalteten Sequenzen, in denen es ausgewogene Hell-Dunkel-Kontraste gibt, wirken realistisch und unterstreichen mit ihrem Zeichenstil die Wichtigkeit der Historie, die gekonnt in Szene gesetzt wird. Mit Hingabe zum Detail beeindrucken die Kostüme, Ausstattungen und Stadtlandschaften der Zeit unter der Berücksichtigung von Originalschauplätzen und -zitaten. So bekommt Wagners Geschichte ein lebendigeres Antlitz als man es aus den historischen Darstellungen kennt.
Und sollte nun doch noch jemand zu faul zum Lesen sein, für den gibt es – oder als Ergänzung zum Buch – eine App mit Animation. Die interaktive Biografie mit dem Titel Wagnerwahn sprengt die Erzählgrenzen durch die Verschmelzung von Musik, Animationen, Filmclips, historischen Briefen, Partituren und Fotografien. Zu lesen ist die Story auf Deutsch, Englisch, Französisch oder Japanisch. Ein blauer Punkt kennzeichnet jeweils die Stellen, an denen ein historisches Dokument in den Produktionsprozess einfloss. Wagnerwahn – Die App war, zusammen mit dem Comic und einem gleichnamigen Film von Ralf Pleger, Teil eines Crossmedia-Projekts anlässlich des 200. Geburtstages von Richard Wagner 2013 und ist für schlappe 1,79 Euro zum Download auf das iPhone, iPad oder iPod touch erhältlich. Ob Print-Comic oder App: Die Graphic Novel ist sowohl für eingefleischte Wagnerianer als auch eine breite Leserschaft eine Horizonterweiterung. So bekommt man doch einen ausdrucksvollen Eindruck über eine der vielfältigsten Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit.
Rebecca Berg
Frankfurt/Main, 31.12.2013