Fritsch-Vivié, Gabriele: Gegen alle Widerstände. Der Jüdische Kulturbund 1931–1941. Fakten, Daten, Analysen, biographische Notizen und Erinnerungen. Mit einem Vorwort von Jakob Hessing – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2013. – 273 S.: 50 Abb.
ISBN 978-3-95565-005-6 : € 24,90 (brosch.)
21 Jahre nach Erscheinen der ersten dokumentarischen Darstellung des Jüdischen Kulturbundes im NS-Reich als Ausstellungskatalog ist nun im selben Verlag der zweite Versuch einer Gesamtdarstellung dieser erstaunlichen Institution veröffentlicht worden. Mehr als der erste Versuch von Eike Geisel und Henryk M. Broder aus dem Jahr 1992, damals herausgegeben von der Berliner Akademie der Künste (AdK), konnte sich Fritsch-Vivié auf sehr viel umfangreichere Quellenkonvolute (darunter auch die merklich erweiterte Materialsammlung der AdK) stützen. Die heute mögliche Darstellung ist sehr viel detaillierter und hintergründiger, und aus der vergrößerten zeitlichen Distanz lassen sich die Bedeutung der Kulturbund-Institution für das jüdische Kulturleben in Zeiten der Ausgrenzung noch besser beurteilen. Der Jüdische Kulturbund war nicht nur eine Selbsthilfeorganisation der durch Zwangsverordnungen der NS-Reichsregierung arbeitslos gewordenen Künstler, sondern auch eine lebendige künstlerisch arbeitende Vereinigung. Durch sie wurde das, was (freiwillig oder von außen verfügt) unter jüdischer Kultur verstanden werden sollte, neu definiert. Auf ein kulturelles Erbe zurückgeworfen, das in der offiziellen deutschen Kultur keine Rolle mehr spielen durfte, verwandelte sich das Verhältnis der deutschen Juden zu ihren kulturellen Wurzeln und nahm den Charakter einer künstlichen und künstlerischen Selbstbehauptung gegen die Unterdrückung an.
So sehr die Illusionen der Assimilationsbewegung auf einen positiven Beitrag des jüdischen Elements in der deutschen Kultur hinaus liefen, so sehr stellte sich nicht erst nach der Machtübergabe an die Nazis heraus, dass diese wohlmeinende Rechnung „ohne den Wirt“ gemacht worden war. Die deutsch-christliche Mehrheitskultur sah sich schon lange vorher in ihrer angeblichen Eigenmächtigkeit und Hegemonie gestört bis verletzt und begann mit allerlei Ausgrenzungsverfahren die Ambitionen jüdischer Deutscher auf bürgerliche Berufe zurückzuweisen, so dass gerade die künstlerischen und wissenschaftlichen Berufe ein begehrtes und erfolgreich betretenes Ausweichterrain für Juden wurde. Hier wurden Höchstleistungen vollbracht und in die Breite gewirkt. Es mutet etwas seltsam an, dass die Autorin den rassisch begründeten Antisemitismus, der durch die Pamphlete von Wilhelm Marr Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeführt wurde und die traditionelle Judenfeindschaft in Deutschland verschärfte, namentlich nicht erwähnt. Von ihm brauchte Hitler nur abzuschreiben.
Man erfährt in diesem Buch sehr viel; sehr detailliert werden die auf jüdische Initiative und mit Duldung der NS-Behörden entstandenen und ausgestalteten Aktivitäten dieser Kulturinstitution auf künstlerischem (und das hieß mehrspartigem) und wissenschaftlichem Gebiet dokumentiert und erzählt, wobei die Autorin sich weitgehend vorlauter oder selbstgefälliger Kommentare enthält. Es ist tatsächlich so, wie Jakob Hessing es in seinem Vorwort schreibt: „Gabriele Fritsch-Vivié lässt die Dokumente sprechen. Konsequent verharrt sie dabei auf dem Standpunkt der Zeitgenossen, sie verzichtet auf unser heutiges Wissen und macht nirgends den Versuch, das Unbegreifliche im Nachhinein zu rationalisieren“ (S. 10).
Auch aus einem anderen Grund ist diese Zurückhaltung recht angenehm, denn fast auf jeder Seite unterlaufen der Autorin Sätze, die man als gröbliche Verletzungen von Sprachlogik und gutem Stil ansehen muss. Erstaunlich bei einem Buch für dessen verlagsexternes Lektorat sich die Autorin ausdrücklich bedankt und von dem sie viel gelernt haben will. Wie muss da das Manuskript ursprünglich ausgesehen haben? Nur ein besonders prägnantes Beispiel von unzähligen derartigen stehen gebliebenen Unannehmbarkeiten: „Nach seiner bravourös vom Blatt gespielten Aufnahme in das Orchester…“ (S. 240, in der Kurzbiografie von Henry Meyer). Besonders unangenehm bei einem Gegenstand, bei dem es auf äußerste Präzision der Darstellung und der Interpretation ankommt.
Drei Seiten kompakt und viele vereinzelte Stellen sind der Musik und Musikern im Rahmen des Jüdischen Kulturbunds gewidmet, wobei zu Recht besonderes Gewicht auf das Eigentümliche der jüdischen Musik, ihren ursprünglich liturgischen, vokalen Charakter gelegt und das Verhältnis zur modernen europäischen Instrumentalmusik kurz erörtert wird. Es gab einen Ort in Deutschland, an dem man auch nach 1933 und bis 1941 noch Mendelssohn und viele komponierende jüdische Zeitgenossen hören konnte, wenn auch deutschen Zuhörern von Seiten der Nazis der Zugang dazu verwehrt wurde. Ebenso wurde den jüdischen Musikern zunehmend verweigert, deutsche Musik des klassisch-romantischen Repertoires zu spielen. Diese zunehmende Ghettoisierung der Musik jüdischer Komponisten war „ein Vorspiel nur“ für Angriffe auf Leib und Leben der jüdischen Künstler, die schon lange vor der Zwangsschließung des Jüdischen Kulturbunds im Jahr 1941 begonnen hatten. Auch die innerjüdischen Diskussionen um Selbstbehauptung mit Hilfe der Kunst und um die Gefahr der physischen Vernichtung werden hier dokumentiert, und der Anhang mit den Kurzbiografien liest sich wie eine qualifizierte Gedenktafel an prominente, halb vergessene und heute noch namenlose, ermordete und gerettete Künstler, deren Schicksale nun ans Licht treten können. Man kann dem Buch trotz der genannten sprachkritischen Einwände nur eine große Verbreitung wünschen.
Peter Sühring
Berlin, 15.07.2013