Gerber, Iris: Nachtwerk. Hommage an eine Komponistin. Roman. – Oberhofen (CH): Zytglogge, 2011. – 171 S.: 1 Tf.
ISBN 978-3-7296-0818-4 : SFR 32,00- / € 22,00 (geb.)
Eva Weissweiler stellt in der 1999 erschienenen Neuausgabe ihres Buchs „Komponistinnen vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ (dtv, S. 9) fest, dass Wahrnehmung und Würdigung des Ansehens musikalisch schöpferischer Frauen von einer „facheigenen Verspätungstendenz“ gekennzeichnet sei. Daran hat sich bis heute, mehr als 10 Jahre später, wenig geändert und gäbe es nicht das Internet, würde man sich als nicht einschlägig vorgebildeter Konzertbesucher schwer tun, weiterführende Informationen zu Margrit Zimmermann zu erhalten. Immerhin sucht man auch bei Weissweiler vergeblich nach der Schweizer Komponistin, die im hier vorliegenden Buch Objekt der Betrachtung ist.
Margrit Zimmermann wurde 1927 in Bern geboren. Einem Klavier- und Kompositionsstudium dort folgten Studienaufenthalte in Lausanne und Paris, unter anderem als Schülerin Arthur Honeggers. Meisterkurse in Klavier und Komposition sowie ein zusätzlicher Abschluss als Operndirigentin folgten. Die Liste ihrer Lehrer liest sich wie ein internationales „Who is Who“ der Musik: Alfred Cortot, Hans Swarowski, Walter Furrer, Igor Markevich – um nur einige zu nennen – sorgten für eine vielseitige, qualitativ herausragende Ausbildung. Zeitgleich schloss Margrit Zimmermann eine Lehre zur Damen- und Herrenschneiderin ab, da ihre Eltern auf das Erlernen eines sog. Brotberufes bestanden. Hier rührt auch ihre Vorliebe für elegante Kleidung und exklusive Abendgarderobe bei ihren Konzerten her. Von Bern aus entfaltete sie eine intensive Tätigkeit als Pianistin, Dirigentin, Komponistin und Musikpädagogin, hier gründete sie ein Orchester und sie wurde im Laufe ihres Lebens mit zahlreichen, auch internationalen Preisen bedacht. Sie schrieb für Sinfonieorchester ebenso wie für Kammermusik in den unterschiedlichsten Besetzungen, ständig auf der Suche nach neuen Klangmöglichkeiten und Interpretationsansätzen. Ein von ihr speziell entwickeltes Vierteltonsystem findet in jüngerer Zeit wieder verstärkte Beachtung. Die Autorin des vorliegenden Buches ist selbst Pianistin und interdisziplinär auch als Performancekünstlerin tätig. Als Schülerin Zimmermanns hat sie eine besondere Beziehung zu ihrer ehemaligen Lehrerin, der sie sich – sehr angemessen, wie ich finde – in Form eines Romans zu nähern sucht. Ihr Ansatz ist der einer musikalischen Interpretation dieses sehr verdichteten Lebens, das einer gewissen Tragik nicht entbehrt. Ein nicht verarbeiteter Mutterkonflikt, der sich später auf die ältere Schwester übertrug, gibt diesem Leben eine zusätzliche Dimension. „Nachtwerk“ ist nichts weniger als eine Hommage an ein große, zu Unrecht vergessene Künstlerin, die den Satz Schönbergs „Kunst kommt von müssen“ in allen seinen Tiefen ausgelotet und buchstäblich Tag und Nacht gearbeitet und ihrer Kopf ausgebeutet hat. Margrit Zimmermann lebt heute in einem Heim für Demenzkranke, scheinbar tief in sich zurückgezogen und ihrer Umwelt auch durch die Musik nur noch bedingt zugänglich. Iris Gerber kondensiert aus ihren persönlichen Erfahrungen, ihren Eindrücken bei zahlreichen Heimbesuchen und Gesprächen mit Angehörigen auf äußerst sensible Weise ein Lebensbild, das durch Stringenz ebenso wie Ästhetik besticht und das aller Tragik zum Trotz nicht bedrückt, sondern durch die heitere Gelassenheit der Protagonistin den Gedanken vermittelt, sie sei lediglich auf Reisen „in eine ferne Fremde“. Die Werke der Komponistin sind in der Musikbibliothek der Hochschule der Künste in Bern öffentlich zugänglich und werden hoffentlich durch Aufführung und Forschung in absehbarer Zeit entsprechende Würdigung erfahren.
Claudia Niebel
Stuttgart, 16.06.2011