Richard Wagner: Briefe des Jahres 1870 / Hrsg. von Martin Dürrer. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2012. – 543 S.: 2 Abb. (Richard Wagner. Sämtliche Briefe ; 22)
ISBN 978-3-7651-0422-0 : € 44,– (geb.)
Die Verantwortlichen der Gesamtedition der Briefe Richard Wagners haben sich offensichtlich glänzend organisiert, da schon wieder ein neuer Jahrgang vorgelegt werden kann und die Reihe zielstrebig ihrer Vollendung zueilt. Angesichts der enormen Vorarbeiten, die auch nur ein einziger Band benötigt, ist dies eine großartige Leistung, und zuversichtlich darf man annehmen, dass die verbleibenden rund zwölf Lebensjahre des Bayreuther Meisters absehbar durchschritten sind.
Auch 1870 war für Wagner, der weiterhin im Schweizer „Asyl“, dem Landhaus Tribschen am Vierwaldstädter See, wohnte, auf allen Lebensgebieten ereignisreich: Im privaten Bereich ist es die in aller Stille erfolgte Hochzeit mit Cosima am 25. August, nachdem sie sich im Vormonat von ihrem längst gehörnten Ehemann, dem Dirigenten Hans von Bülow, hatte scheiden lassen. Die schöpferische Tätigkeit ist durch die Arbeit an Siegfried und der Götterdämmerung geprägt, wobei Wagner im März erstmals Bayreuth als künftigen Wohnsitz und Ort der Festspiele in Erwägung zog. Auf der anderen Seite konnte er es nicht verhindern, dass Ludwig II. im Sommer mit der Walküre auch die Uraufführung des zweiten Teils der Tetralogie in München durchsetzte; dafür verschränken sich Leben und Werk aufs Glücklichste im Siegfried-Idyll, seinem ungeachtet aller „potpourrihaften“ Züge wohl bedeutendsten Orchesterwerk, das er für Cosimas Geburtstag komponiert und am 25. Dezember in Tribschen erstmals aufgeführt hat. Schließlich erlebte Wagner die deutsch-französische Krise und Anfang September den Beginn des Krieges, den er nicht nur begrüßte, sondern auch noch im November durch ein spöttisches Bühnenwerk mit dem Titel Eine Kapitulation gleichsam „dichterisch“ kommentierte; dieses „Lustspiel“, das er 1873 veröffentlichte, hat ihm in Frankreich natürlich lange geschadet.
Dies und noch vieles mehr spiegelt sich in Wagners 273 für 1870 dokumentierbaren Briefen wider, von denen 23 allerdings verloren und nur noch aus dem Zusammenhang erschließbar sind; dafür konnten hier fünfzig bisher unbekannte veröffentlicht und weitere 23 erstmals vollständig wiedergegeben werden; fünf Schreiben erscheinen erstmals in der Originalsprache. Dazu vermitteln detaillierte Kommentare wichtige Informationen, und in den „Themenkommentaren“ werden die zentralen Ereignisse in der Form von Essays abgehandelt. Dieses für die Edition längst maßgebliche und bewährte Konzept machen auch diesen Band zu einer unverzichtbaren Anschaffung, und zwar nicht nur für den Wagnerianer, sondern für jeden kulturgeschichtlich Interessierten.
Georg Günther
Stuttgart, 01.10.2012