Bohlman, Andrea F. und Philip V.: Hanns Eisler. „In der Musik ist es anders“ – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2012. – 117 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 126)
ISBN 978-3-942271-67-7 : € 12,90 (kt.)
Vater und Tochter Bohlmans (USA) gut gemeinte biographische und werkgeschichtliche Miniatur aus Anlaß des 50. Todestages von Hanns Eisler (1898-1962) ist aus mehreren Gründen etwas missglückt. Das Jüdische wird hier metaphorisch verflüchtigt in eine völkerpsychologische Konstante des Wanderns, Reisens, Verfolgtseins, und so wirkt jener in das gesamte Büchlein eingeflochtene jüdische Faden in Bezug auf Eisler etwas künstlich eingesetzt, denn tatsächlich war er der Sohn eines bildungsbürgerlich assimilierten säkularen Vaters jüdischer Herkunft und einer aus christlichen Hause stammenden proletarischen Mutter. So war Eisler nach innerjüdischem Verständnis kein Jude, was aber seiner Solidarität mit den verfolgten, ermordeten und um ihr Überleben kämpfenden jüdischen Volk zur Zeit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik keinen Abbruch tat. Konkret gefragt: Gab es denn überhaupt eine direkte Beziehung Eislers zur jüdischen Kabarettszene in Wien bis 1925? Nur weil der Autor Bohlman sen. Artistic Director des jüdischen Kabarettensembles New Budapest Orpheum Society ist, das heutzutage auch Eisler-Stücke spielt, muss Eisler selbst mit dieser Szene nicht unbedingt etwas zu tun gehabt haben. Das wird auch gar nicht nachgewiesen, sondern nur assoziativ resp. suggestiv in den Raum gestellt.
Dieses Büchlein ist so geschrieben als wäre Deutsch nicht die Muttersprache der Autoren; darauf deuten solche vom Lektorat unbemerkte Fehltritte hin wie „polyphonisch“ (statt polyphon), „Moden“ (statt Modi, Plural von Modus, der Bezeichnung für ein mittelalterliches Tongeschlecht); es wirkt manchmal wie eine schlechte Übersetzung aus dem Amerikanischen, obwohl kein Übersetzer genannt ist. Leider hat auch keiner aus der langen Liste der bedankten deutschen Unterstützer dieses Buches eine ganze Reihe von Unstimmigkeiten verhindern können.
Die Bohlmans folgen immer noch der alten Komintern-Ideologie, nach deren großer totalitärer Erzählung „Faschismus“ eine gesamteuropäische Bewegung gewesen sein soll, ohne die nationalen Unterschiede und ihre jeweiligen Herkünfte auch aus sozialistischen Bestrebungen zu berücksichtigen. Es wäre in der kulturgeschichtlichen Publizistik endlich angezeigt, sich von diesem zweifelhaften Erbe einer pauschalisierenden Begriffsbildung innerhalb der politischen Rhetorik zu trennen, der zwar Eisler selbst noch frönte, die aber einer differenzierten Untersuchung nicht standhält. Es wäre also sinnvoller, den Begriff Faschismus auf die italienische Bewegung zu begrenzen und solche Benennungen wie „deutscher Faschismus“ zu umgehen. Auch der dem entsprechende „Antifaschismus“ treibt seltsame Blüten, so wenn behauptet wird, die Bibelübersetzung von Buber/Rosenzweig sei ein „Akt des geistigen Widerstands gegen den Faschismus“ (S. 15) gewesen. Wie das auf ein Werk, dessen erster, noch von beiden Autoren verantworteter Band schon 1926 erschien, zutreffen soll, ist etwas schleierhaft. Und so ist es angebracht, heftig daran zu zweifeln, dass es „Eisler zweifellos gefallen“ hätte, die Kapitel einer Biografie seiner Person mit epigrammatischen Zitaten daraus zu schmücken. Denn diese Bibelübersetzung ist alles andere als „modern“ (S. 15), sondern eine zwanghafte Hebraisierung der deutschen Sprache, mit der eine deutsch-jüdische Symbiose symbolisiert werden sollte – ein religiöses Unternehmen, dem Eisler völlig fern stand.
Auch was musikalische Dinge betrifft, herrscht oft Verwirrung. Äußerst gewagt erscheint die Behauptung, der „Bachsche Kontrapunkt [habe] als Fundament für Schönbergs Lehre“ fungiert (S. 21). Dass Eisler Bachs polyphone Kunstfertigkeit bewunderte und sich mit ihr kompositorisch auseinandersetzte, zeigen einige seiner Werke, aber die Kontrapunktik, die Fugentechnik und Formen wie die Passacaglia sind sehr viel älter als Bach und es wäre hervorzuheben gewesen, dass gerade Eislers Kenntnisse der Musikgeschichte (oft im Gegensatz zu denen seiner Zeitgenossen, sogar seiner Lehrer und Freunde) etwas weiter zurück reichten als immer nur bis Bach. Überhaupt scheinen die Kenntnisse der Bohlmans gerade über Eislers wichtigsten Lehrer Schönberg etwas dürftig. So wird behauptet, Schönbergs erste Auseinandersetzung mit der Atonalität habe in den beiden Kammersinfonien stattgefunden (S. 26). Es ist nicht ganz klar, wie das zutreffen kann auf zwei zeitlich so weit auseinanderliegende Werke aus den Jahren 1909 und 1939, deren Skizzierung auf Schönbergs tonale Phase zurückgeht. Und was bitte ist eine „viertonige Notenzelle“? (ebd.)
So angebracht es ist, auch einmal die intensive Vertonung von Kabarettliedern Tucholskys durch Eisler etwas ausführlicher vorzustellen, Bohlman rückt sie in eine schräge Beziehung zu Eislers Kampfliedern, die während dessen späteren Zusammenarbeit mit Brecht entstanden, und er rückt damit Tucholsky selber in eine völlig unangemessene Nähe zur kommunistischen Bewegung, von der sich jener, trotz seiner Empathie mit den unterdrückten Proletariern, stets distanziert hat. In einer wissenschaftlich gemeinten Terminologie wird Eislers fortschreitende Entwicklung von Tucholsky zu Brecht als eine von so etwas wie einer urbanen „Dystopie“ zu einer gesellschaftskritischen Utopie bezeichnet, womit man wohl beiden Autoren nicht gerecht werden kann.
Lesenswert und (abgesehen von den dunklen Bemerkungen über den Unterschied von progressiver und experimenteller Musik) aufschlussreich sind in den beiden Kapiteln über Eislers Exilzeit in Europa und Amerika die Abschnitte über die Komposition der Deutschen Sinfonie (obwohl ein hier gezogener Vergleich mit Produktionen des Jüdischen Kulturbundes in Deutschland unter dem Naziregime einfach nur hinken kann), die Filmmusik zu The Forgotten Village nach John Steinbeck und die des Hollywooder Liederbuchs. Die Zwiespältigkeit von Eislers Remigration nach Wien und Berlin wird nicht verschwiegen, wenn auch hier das rein assoziative und willkürliche Anknüpfen an die Vision eines „Neuen Jerusalem“ unangenehm berührt, wie überhaupt der Versuch, Eisler in die jüdische Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu integrieren, verglichen mit Eislers Selbstverständnis etwas deplatziert wirkt. Die unsägliche Diskussion um Eislers Opernlibretto Johann Faustus und dessen Verurteilung durch die SED-Kulturbürokraten kommt nicht zur Sprache.
Als Einführung in Eisler ist dieses Büchlein schwerlich zu gebrauchen, aber als sonderbare Variation über Eisler mit den Akzenten eines verwässerten und zugleich überbetonten Judentums als Leitfaden, einer stärker als sonst beleuchteten Kabarett-Tradition und eines etwas blauäugig beäugten Kommunismus (der Name Stalin fällt kein einziges Mal) gerade noch akzeptabel.
Peter Sühring
Berlin, 17.09.2012