Mari, Michele: Mr. Pink Floyd. Roman / Aus dem Ital. von Birte Völker. – München: Bertelsmann, 2011. – 301 S. (Edition Elke Heidenreich)
ISBN 978-3-570-58026-4 : € 19,95 (geb.)
An tragischen Helden mangelt es der Popgeschichte nicht. Gnadenlos wütet die Macht des Schicksals und reißt Musiker wie Buddy Holly aus dem Leben, bevor sie den Zenit des Lebens erklimmen konnten. Anderen wie Jimi Hendrix oder Amy Winehouse setzt die Fügung ähnlich hart zu – nur sind sie selbst es, die ihre Existenz leichtfertig aufs Spiel setzen. Und dann gibt es die Genies vom Schlage eines Brian Wilson, die erst sonderbar werden und dann ganz von der Bildfläche verschwinden. Wäre man Schriftsteller, man könnte dies gar nicht besser erfinden.
So etwas mag sich Michele Mari gedacht haben, als er begann, Mr. Pink Floyd ein Denkmal zu setzen. Dem 1955 in Mailand geborenen Autor, hierzulande noch relativ unbekannt, geht in seiner Heimat ein exzellenter Ruf voraus. Mehrere Preise durfte Mari bislang für seine Romane, Lyrik und Erzählungen entgegennehmen, in denen er ausgiebig Wahrheit und Dichtung vermengt. Diese Manier führt direkt zu Mr. Floyd, bei dem es sich selbstverständlich um Syd Barrett handelt. Genial und rätselhaft, psychisch krank oder nur verschroben, exzessiv in allem, was er tat – es gibt wenige Musiker, die von einer solch faszinierenden Aura umgeben sind. Dabei ist sein Lebenswerk überschaubar: Als Gründungsmitglied von Pink Floyd veröffentlichte er mit der Band das bahnbrechende Debüt The Piper at the Gates of Dawn (1967). Zunehmender Drogenkonsum und psychische Probleme führten kurz darauf zu seinem Rauswurf. Ersetzt wurde er von David Gilmour, der Pink Floyd zusammen mit Roger Waters zu einer Legende formte. Barrett selbst veröffentlichte noch zwei Solo-Alben, bevor er jeden Kontakt mit seinen ehemaligen Bandkollegen abbrach, sich komplett aus der Öffentlichkeit zurückzog und 2006 verstarb.
Dass eine solche Gestalt von allerlei Mythen umrankt wird, verwundert nicht. Dass die Geschichte linear erzählt recht schnell am Ende wäre, ist ebenfalls klar. Mari wählt für seinen biografischen Roman deshalb eine gewagte Form: In einer imaginären Versammlung, einer Gerichtsverhandlung nicht unähnlich, geben Freunde, Weggefährten und andere Zeitgenossen ihre Aussagen über Barrett zu Protokoll. In kurzen, meist nur zwei Seiten langen Kapiteln kommen die Bandmitglieder ebenso zu Wort wie Barretts Familie, Michelangelo Antonioni, Bob Geldorf oder David Bowie. Was jedoch der Aufklärung dienen sollte, verschwimmt durch die unterschiedlichen Interpretationen, das Schwadronieren und Polemisieren, aber auch durch scharfsinnige Betrachtungen zu einem verwirrenden Kaleidoskop an Meinungen und Überzeugungen. Barrett selbst bleibt so rätselhaft wie zuvor. Ob das Buch „der beste Roman, der jemals über Popmusik geschrieben wurde“ ist, wie die Zeitung „Il Giornale“ meinte, sei dahingestellt. Ein rauschhaftes Vergnügen ist es allemal, das Mari dem Publikum bereitet.
Michael Stapper
München, den 21.12.2011