Christian Jooß-Bernau: Das Pop-Konzert als para-theatrale Form

Jooß-Bernau, Christian: Das Pop-Konzert als para-theatrale Form. Seine Varianten und seine Bedingungen im kulturell-öffentlichen Raum. – Berlin: De Gruyter, 2010. – 390 S. (Theatron – Studien zur Geschichte und Theorie der dramatischen Künste ; 55)
ISBN 978-3-11-023047-5 : € 99,95 (geb.)

Populäre Musik und ihre Medialisierung durch Radio, Tonträger oder Downloads sind untrennbar miteinander verwoben. Die Bedeutung der Live-Musik als konstituierender Parameter hat jedoch nicht abgenommen. Im Gegenteil: Ohne das Konzertgeschehen ist der Produktkreislauf kaum denkbar. Auch die Wissenschaft richtet ihr Augenmerk verstärkt auf die Showbühne. So beschäftigte sich Ruprecht Mattig 2009 in Rock und Pop als Ritual mit dem Live-Auftritt aus pädagogisch-anthropologischer Sicht; auf praktischen Nutzen etwa zielen Experimente zur Kühlung von Jazzclubs (www.bine.info). Weitaus näher dagegen liegt die verdienstvolle, auf einer Dissertation beruhende Untersuchung von Christian Jooß-Bernau.
Der Autor will eine „Theatergeschichte der Pop- und Rockmusik“ (S. 1) schreiben. Dieses Vorhaben ist ambitioniert, wie er selbst feststellt; doch weil der Inszenierungsraum der Pop-Kultur nirgendwo augenfälliger wird als auf der Konzertbühne, wundert man sich, warum niemand zuvor diesen Ansatz so systematisch verfolgt hat. Jooß-Bernau wählt den Begriff der „Para-Theatralität“ und verweist damit auf ein Spezifikum von Popkonzerten, bei denen sich „die private Biographie des Künstlers und seine Darstellung auf der Bühne“ (S. 4) mischen. Zunächst widmet der Autor sich den Grundlagen: Bühnenarten, Instrumente als Requisiten, performativer Gehalt der Stimme. Anschließend stellt er mit „Teufel“ und „Gott“ zwei prominente Rollen und deren Darsteller vor (Robert Johnson, Alice Cooper, John Lennon u.a.). Nach der Ausweitung des „Figurentheaters des Pop“ (Tramps, Gammler, Raumfahrer bzw. Tom Waits, Jethro Tull, David Bowie), nimmt der Autor mit Janis Joplin und Madonna zwei weibliche Rollendarsteller unter die Lupe und schließt mit theatralen Großformen wie The Wall.
Was Jooß-Bernau zu Tage fördert, ist eindrucksvoll. Durch den theaterwissenschaftlichen Background und die Tätigkeit als Musikkritiker hält er eine interdisziplinäre Balance, die Musik und Bühne gleichermaßen ernst nimmt. Aussagen über den Gestank im Cavern-Club (S. 19) oder die Körperhaltung auf der Bühne (S. 235) sind nur einzelne Belege dafür, dass sich der Autor intensiv mit seinem Sujet beschäftigt hat. Grundlagenforschung in diesem Umfang muss mit Auslassungen arbeiten. Dies nimmt Jooß-Bernau in Kauf und verweist darauf, dass im Gegenzug „ausgewählte Ansatzpunkte möglichst ausgiebig“ (S. 374) untersucht wurden. Diese Vorgehensweise führt zu einzelnen ausschweifenden Einzelbetrachtungen, die in konzentrierter Form dem Gesamtvorhaben zuträglicher gewesen wären. Die anspruchsvolle Lektüre sollte sich jedoch jeder gönnen, der öffentliche Auftritte von Musikern nicht nur genießen, sondern auch bewerten möchte.

Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 287f.

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Rezension, Sonstiges abgelegt und mit , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.