Für viele Personen sind Kratzgeräusche eine akustische Qual. Christoph Reuter, Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Wien, untersuchte mit seinem Kollegen Michael Oehler aus Köln, warum wir so sensibel auf Wandtafelkratz- und Kreidegeräusche reagieren. Die Ergebnisse präsentierten sie kürzlich bei der Jahrestagung der Acoustical Society of America in San Diego.
Bereits seit den 1950er-Jahren diskutieren ForscherInnen, warum gewisse Klänge als unangenehm empfunden werden – etwa, wenn Fingernägel an einer Tafel streifen oder bei Kreidegeräusch auf einer Schieferplatte. Neue Aspekte liefern Musikwissenschafter Christoph Reuter von der Universität Wien und sein Kollege Michael Oehler, Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation Köln.
Drei Fragen standen im Zentrum der Forschung: Sind es wirklich – wie häufig angenommen – die tieffrequenten Anteile, die das Geräusch unangenehm werden lassen? Gibt es nachweisbare körperliche Reaktionen auf unangenehme Klänge wie Wandtafelkratz- oder Kreidegeräusche? Inwieweit zeigen sich Unterschiede in den physiologischen Werten zwischen HörerInnen, die nicht wissen, wie das Geräusch entstanden ist, und HörerInnen, die vorher über den Ursprung des Geräusches informiert wurden?
Best of the Worst gesucht
Die Musikwissenschafter ließen 104 Versuchspersonen aus einer Reihe von Kreide- und Wandtafelkratzgeräuschen die zwei unangenehmsten heraussuchen. “Von diesen beiden haben wir verschiedene Variationen erstellt, um den Einfluss von Filterung, tonalen bzw. geräuschhaften Anteilen, Modulationen und zeitlicher Hüllkurve auf die Geräuschempfindung zu untersuchen; beispielsweise wurden nur die Tonhöheninformation beibehalten oder die Geräusche erklangen ohne Frequenzmodulation”, erklärt Christoph Reuter, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Wien.
Kratzgeräusch oder Komposition?
Um die Reaktion der Versuchspersonen bewerten zu können, wurden Atmung, Herzschlag, Blutdruck, Temperatur und Hautleitwert gemessen. Außerdem wurden die ProbandInnen in zwei Gruppen eingeteilt: Die TeilnehmerInnen der ersten Gruppe wurden vorab informiert, dass es sich bei den Geräuschen um Kreide- bzw. Wandtafelkratzgeräusche handelt. Personen der zweiten Gruppe erhielten die Fehlinformation, wonach es sich bei den Geräuschen um kurze Ausschnitte aus zeitgenössischen Kompositionen handle.
Zwischen 2.000 und 4.000 Hertz spielt die “Ekel-Musik”
Jene Personen, die von einer zeitgenössischen Komposition ausgingen, empfanden die Klänge dann auch als weniger unangenehm. Dennoch galt für beide Versuchsgruppen gleichermaßen: je unangenehmer der Klang von der Versuchsperson bewertet wurde, desto stärker stieg der Hautleitwert.
Die An- oder Abwesenheit von Geräuschanteilen oder Modulationen hatte so gut wie keinen Einfluss auf die Klangbewertung. Dafür trug die starke Präsenz einer Tonhöhe entscheidend zur empfundenen Abneigung gegenüber den Geräuschen bei. Fehlten die Tonhöheninformationen, wurden die Wandtafelkratz- und Kreidegeräusche als sehr viel angenehmer eingestuft. “Dieser Effekt ist bei Frequenzen zwischen 2.000 und 4.000 Hz noch wesentlich stärker. Frequenzanteile in diesem Bereich fallen in die Eigenresonanz unseres Außenohrkanals, wodurch sie besonders gut bzw. in diesem Falle besonders unangenehm übertragen werden”, so Christoph Reuter abschließend.
Wissenschaftlicher Kontakt:
Univ.-Prof. Dr. Christoph Reuter, M.A.
stv. Vorstand des Instituts für Musikwissenschaft
Universität Wien
Näheres: http://idw-online.de/de/news451250
idw, 16.11.2011