Johann Gottlieb Naumann und die europäische Musikkultur des ausgehenden 18. Jahrhunderts / Hrsg. von Ortrun Landmann und Hans-Günter Ottenberg – Hildesheim: Olms, 2006. – 495 S.: Abb. u. Notenbsp. (Dresdner Beiträge zur Musikforschung ; 2)
ISBN 3-487-12661-3 : € 98,00 (kt.)
Der Band enthält die Druckfassungen der Vorträge, die auf dem Naumann-Symposium im Juni 2001 in Dresden gehalten wurden. Dieser Kongreß wurde zum 200. Todestag des Komponisten abgehalten und versuchte, Naumann (1741–1801) aus dem Schatten, wo man ihn nicht sieht, ans Licht zu holen. Daß er nach einem ihm gewidmeten Jahr wieder aus dem Gedächtnis und dem Repertoire verschwindet, könnte einem Mozart nicht passieren; dieser Gefahr ist aber Naumann weiter ausgesetzt, und so ist es eine gute Sache, daß nun fünf Jahre später dieser Kongreßbericht den Komponisten einem breiteren Kreis von musikhistorisch Interessierten wissenschaftlich näherbringen kann.
Sein Gustaf Wasa, ein Auftragswerk für Stockholm aus dem Jahre 1768, wird dort seitdem ununterbrochen als „schwedische Nationaloper“ gespielt, sein Kopenhagener Orpheus, seine Berliner Medea waren und sind bedeutende Ereignisse der europäischen Operngeschichte; sonst wirkte er fast durchgehend nur in Dresden an der Hofoper und der katholischen Hofkirche und hinterließ ein umfangreiches Werk aus Messen, Oratorien, Opern und Instrumentalgattungen. Auch wenn Mozart auf der Durchreise im Jahre 1789 eine von Naumann komponierte und dirigierte Messe „sehr mittelmäßig“ fand, wissen wir heute und wird in diesem Buch an unzähligen Beispielen nachgewiesen, daß Naumanns Werk als ein Dreh- und Angelpunkt der Opernreform in Deutschland in Vorbereitung einer romantischen Oper anzusehen ist, finden sich doch bei ihm bereits musikdramatische Formen und Orchestrierungsideen, die auf Berlioz, Meyerbeer und Verdi verweisen. Es war darum auch angebracht, daß erstrangige Vertreter der Opernhistorik wie Sieghart Döhring, Helga Lühning oder Elisabeth Schmierer in ihren Beiträgen die überragende Bedeutung Naumanns vorstellen und begründen konnten.
Naumann versuchte nicht nur über Hasses Tod hinaus die Dresdner Orchesterkultur zu retten, sondern leistete auch kompositorisch Beachtliches in dessen Nachfolge. Eine Beschränkung der Bedeutung Naumanns auf die lokale Dresdner Musikgeschichte ist nicht angemessen, denn viele Autoren dieses Sammelbandes können die europäischen Verflechtungen seiner Herkunft, Entwicklung und Wirkung nachweisen. Die vielen guten Hinweise, sowie Beschreibungen und Analysen seiner Werke, müßten eigentlich zu einer mutigen Repertoire-Erweiterung und einer Aufführung seiner Werke auch außerhalb Dresdens führen. Dieses Buch wäre also auch ein Kompendium für Musikpraktiker, um sich hier Anregungen zu holen.
Zahlreiche Abbildungen (mit Quellenverzeichnis) und Notenbeispiele, sowie ein Personen- und Werkregister erhöhen den praktischen und dokumentarischen Wert dieses Bandes, der für die zukünftige Auseinandersetzung mit Naumann unentbehrlich ist.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 64f.