Carola Bebermeier: Celeste Coltellini (1760–1828). Lebensbilder einer Sängerin und Malerin [Michaela Krucsay]

Bebermeier, Carola: Celeste Coltellini (1760–1828). Lebensbilder einer Sängerin und Malerin. – Köln [u.a.]: Böhlau, 2015. – 333 S.: 11 s/w u. 23 farb. Abb. (Biographik. Geschichte – Kritik – Praxis ; 4)
ISBN 978-3-412-22526-1 : € 44,90 (brosch.)

Mitunter eine der größten Schwierigkeiten, auf die man beim Verfassen der Biographie einer Frau – zumal einer solchen aus einer weiter zurück liegenden Epoche – beinahe zwangsläufig immer wieder stößt, ist eine schwierige Quellenlage, die für gewöhnlich zumindest in einem nicht immer leicht zu behandelnden Ungleichgewicht des vorhandenen Materials ihren Niederschlag findet. Konfrontiert mit dieser latenten Problematik sieht sich der Forscher / die Forscherin mit unterschiedlichem Erfolg dazu gezwungen, Strategien zu deren Kompensation zu entwickeln. Vielleicht darf man es gerade in diesem Kontext als Glück im Unglück betrachten, dass innerhalb der Musikwissenschaft aktuell eine intensive Auseinandersetzung mit zeitgemäßen Ansätzen und Methoden der Biographieforschung im Gange ist: Die Überlegung, dass eine traditionell chronologisch-lineare und/oder werkorientierte Vorgehensweise in vielerlei Hinsicht als unbefriedigend gelten muss und nur allzu leicht überkommenen Genievorstellungen Vorschub leistet, ist heute längst nicht mehr einer nischenhaft wahrgenommenen musikwissenschaftlichen Frauen- und Genderforschung vorbehalten. Philosophie, Kulturwissenschaft, Inter- und Transdisziplinarität prägen den laufenden Diskurs zu einer aktuellen Form der Biographik, in den mit der vorliegenden Untersuchung Celeste Coltellini (1760–1828). Lebensbilder einer Sängerin und Malerin auch Carola Bebermeier auf überzeugende Weise eintritt.
Auch bei Bebermeier ist es nicht die chronologische Schilderung der markantesten Stationen eines Lebens, die im Vordergrund steht. Obwohl diese hier durchaus ihren Platz finden, entwickelt die Autorin für ihre Publikation, die an der Universität Oldenburg als Dissertation entstanden ist, ihren Zugang zu Celeste Coltellini sowohl auf der Basis schriftlicher als auch bildlicher Materialien, bei denen es sich in diesem speziellen Fall nicht nur um archivalische Primärquellen, sondern auch um eine Form von Selbstzeugnissen handelt: Im Nachlass der Familie Meuricoffre, in die Coltellini im Jahr 1792 eingeheiratet hat, befinden sich insgesamt zehn Skizzenbücher aus den Jahren von etwa 1780 bis 1820 (vgl. S. 19ff), mit denen eine ausführliche Auseinandersetzung erfolgte. Die Beobachtung, wie stark autobiographische Relikte schriftlicher und bildlicher Natur miteinander verschränkt sein können und wie sehr sich auch die ihrer Auswertung inhärenten Problematiken überschneiden mögen, wird etwa im Kapitel zu „Celeste Coltellinis Kindheit und Jugend (1760–1781)“ anhand eines deutlich später, im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, entstandenen Skizzenbuches mit dem Titel Livre d’Ischia & autres souvenirs unmittelbar vor Augen geführt. Die mit Graphitstift angefertigte Skizze eines Hauses, die sich hier findet, trägt den Text: „Unser väterliches Landhaus in Arenella, wo ich glückliche Jugendtage verbracht habe, bis ich mich mit 32 Jahren verheiratet habe, um das glücklichste Leben fortzuführen.“ (Vgl. S. 62f. Coltellini hat ihre Erläuterung in Französisch verfasst; die hier wiedergegebenen Worte sind jene von Bebermeiers Übersetzung.) Diese Bildbeschreibung, die einen eher simplen autobiographischen Sachverhalt wiederzugeben scheint, ist tatsächlich allerdings mehr als trügerisch, wie die Autorin der vorliegenden Studie ausführt: „[…] denn aus der Notiz ließe sich ableiten, dass Coltellini, bis sie mit 32 Jahren heiratete, in Arenella lebte, womit sie ihre gesamte künstlerische Laufbahn als Sängerin ausblenden und ihre Aufenthalte in Wien, Florenz und anderen italienischen Städten verschweigen würde.“ (S. 63) – Zu mutmaßen steht, dass Coltellini nach ihrer Eheschließung und dem damit verbundenen Eintritt in eine angesehene schweizerisch-französische Bankiersfamilie ein neues, „altes“ Selbstbild entwickelt haben mag, zumal Bebermeier Indizien dafür vorlegt, dass Celestes Vater, Marco Coltellini, „der als Herausgeber eine zentrale Figur innerhalb der literarischen Aufklärung der Toskana war und später als Librettist in den Metropolen Wien und St. Petersburg wirkte“ (S. 256), für seine Tochter ursprünglich einen konventionellen bürgerlichen Lebensweg intendierte. (Vgl. S. 61, 63ff)
Ihre vokale Ausbildung erhielt Celeste Coltellini durch zwei Soprankastraten, zunächst Giovanni Manzuoli und später Giovanni Battista Mancini, von denen letzterer auch als Gesangslehrer der Kaiserin Maria Theresia und ihrer Töchter in Erscheinung trat. Bebermeier datiert Coltellinis musikalische Weiterbildung bei ihm auf die Zeit um 1785/89, als sie durch Joseph II als Mitglied des italienischen Opernensembles nach Wien geholt worden war. (Vgl. S. 70) Der Habsburger hatte Coltellini bei mehreren Gelegenheiten in Caserta und kurz darauf auch in Neapel erlebt, sich besonders von ihren Fähigkeiten als Schauspielerin angetan gezeigt und sie in der Folge zu den selben Bedingungen wie Nancy Storace, deren gesangliche Qualitäten er jedoch vorzog, nach Wien eingeladen. (Vgl. S. 135ff) Ein zweiter Aufenthalt in Wien 1788 verlief insgesamt ebenso kurz wie unglücklich und endete vorzeitig in Vertragsdifferenzen. Der Ort, mit dem Celeste Coltellini in privater wie künstlerischer Hinsicht am engsten verbunden war, blieb letztlich Neapel. Nicht nur begann hier 1781 ihre Bühnenkarriere als gefeierte Darstellerin der Opera buffa; bedeutsam ist auch ihr musikkulturelleres Handeln im Rahmen des Familiensalons, der Künstler, Literaten und Adel gleichsam anzog, wie die Autorin hervorhebt. (Vgl. S. 91ff)
Mit ihrer Studie Celeste Coltellini (1760–1828). Lebensbilder einer Sängerin und Malerin hat Carola Bebermeier eine ebenso ansprechende wie wissenschaftlich fundierte Studie vorgelegt, die nicht einfach einen Lebenslauf entlang fehlender oder vorhandener Fakten nachzeichnet, sondern darüber hinaus in reflektierter kulturwissenschaftlicher Arbeit ein weites Feld von Bezügen eröffnet. Der auf Coltellini als paradigmatisches Beispiel einer Buffa-Sängerin bezogene Aspekt der Performanz tritt ebenso in Erscheinung wie Michel Foucaults Überlegungen über die Bedeutung des Wahnsinns als Geisteskrankheit im ausgehenden 18. Jahrhundert in Hinblick auf Giovanni Paisiellos Nina ossia la pazza per amore. Musikalische Analysen spielen eine eher untergeordnete Rolle, finden jedoch da ihren Platz, wo Celeste Coltellinis Stimmprofil und Repertoire (vgl. S. 111ff) oder ihre Zusammenarbeit mit Paisiello im exemplarischen Fall der genannten Oper ins Zentrum der Betrachtung rücken. (Vgl. S. 228–242) Die Abbildungen, insbesondere die im Anhang beigefügten Farbabbildungen aus den Skizzenbüchern Coltellinis, harmonieren mit dem Gesamtkonzept der Publikation. Verdienstvoll ist darüber hinaus die angegliederte detaillierte Aufstellung von Coltellinis Repertoire sowie der vergleichenden Gagentabelle der Mitglieder der drei k.k. Ensembles. Auch ein Personenverzeichnis ist vorhanden. So kann abschließend festgestellt werden, dass sich Carola Bebermeiers Publikation vornehmlich einem wissenschaftlichen Fachpublikum zur Lektüre empfiehlt, wenn auch sicherlich musikalisch und kulturgeschichtlich interessierte Laien ihre Freude daran haben können. Lediglich sei erwähnt, dass sich vielleicht jener Teil einer potentiellen Leserschaft enttäuscht sehen könnte, der eine stringent-übersichtliche Lebensdarstellung erwartet, die sich Schritt für Schritt entrollt. Bei Bebermeiers Buch handelt es sich nicht um eine Biographie im traditionellen Sinn; die Umsetzung kann jedoch nur als gelungen bezeichnet werden.
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Michaela Krucsay
Leoben, 09.09.2015

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