Romano-Lax, Andromeda: Der Bogen des Cellisten. Roman /Aus d. Amerik. übers. v. Ulrike Thiesmeyer Berlin: Berlin Verlag, 2014. 640 S.
ISBN 978-3-8333-0943-4 : € 10,99 (kart.)
„Nach der Ankunft des Cellos schrumpfte meine Welt und leuchtete zugleich auf, wie ein glimmendes Stück Holz. Ich wachte auf und wusste zum ersten Mal im Leben ganz genau, was ich tun musste. Die unerforschte Stadt um mich herum ließ mich kalt. Der Kreis um meinen Stuhl, dessen Radius sich aus der Bewegung ergab, mit der mein Arm den Bogen strich, wurde mein Zuhause.“ (S. 95) Diese Zeilen der amerikanischen Schriftstellerin, Journalistin und Cellistin Andromeda Romano-Lax bilden wahrscheinlich eine der schönsten Liebeserklärungen an das Cello, die man sich vorstellen kann. Trotzdem ist die Essenz ihres Erstlingsromans Der Bogen des Cellisten (Originaltitel: The Spanish Bow, 2007) damit noch längst nicht erschöpft. Was die Leserschaft tatsächlich hier erwartet ist ein moderner Entwicklungsroman mit ethisch-moralischen Grundproblemen als eigentliches Gerüst, das sich erst allmählich dort zu zeigen beginnt, wo das Gewebe aus Musik, das es umgibt, aufgrund äußerer Umstände fadenscheinig zu werden droht.
Protagonist des Romans von Romano-Lax ist der Katalane Feliu Delargo, dessen Lebensweg vom letzten Geschenk des verstorbenen Vaters bestimmt wird: einem Cello-Bogen. Was für das noch kleine Kind zunächst das eher unbestimmte Gefühl einer Berufung ist, wird mit den Jahren immer mehr zur unmittelbaren Lebenswirklichkeit Felius. Erst nimmt er aus Mangel an anderen Möglichkeiten Violinstunden, um dann, vergleichsweise spät, elfjährig in Barcelona die Gelegenheit zu bekommen, sein Instrument zum ersten Mal in die Hände zu nehmen und Unterricht darauf zu erhalten. Hier ist es auch, wo er erstmals mit sozialer Ungerechtigkeit, politischen Problemen und Terror in Berührung kommt – aber noch bleiben Schrecken und Zweifel für ihn abstrakte Gespenster aus einer anderen Welt, die ihn in seinem selbstgewobenen Kokon aus Musik kaum berühren. Feliu Delargo, das musikalische Ausnahmetalent, reift in Madrid am Hofe von König Alfonso und Königin Ena zu „El rey del arco“, dem „König des Bogens“ (vgl. S. 373), heran. Stets wiederkehrender Begleiter auf seiner Reise zum Künstlertum ist dabei der virtuose Pianist Justo Al-Cerraz, der zu verschiedenen Gelegenheiten gleichsam die Rolle eines Deus ex machina für die Handlung einnimmt – sei es zum Guten oder auch zum Schlechten. Während Feliu Delargos politisches Gewissen erwacht und er seine Rolle als Musiker im zunehmend vom Faschismus bestimmten Weltgeschehen in Frage stellt, erscheint Al-Cerraz als weitgehend gedankenloser Opportunist. Die Liebe der beiden Musiker zu ihrer Ensemble-Kollegin, der jüdischen Geigerin Aviva Henze-Pergolesi, die an ihrer eigenen Vergangenheit krankt, ist dabei nicht dazu angetan, die Konflikte zwischen den Männern zu schmälern. Es ist letztlich die Frage nach der Macht oder Ohnmacht von Musik in Bezug auf eine Condition humaine, auf die sich Handlungsstränge zuspitzen, die zunächst noch willkürlich und diffus wirken mögen. Die Musik als scheinbar abstrakte und von äußeren Umständen unabhängige absolute Kunst wird dabei zum Brennglas der Ereignisse im Leben des Protagonisten; sein Bogen zum archetypischen Symbol des Individuums, das sich stets selbst entscheiden muss, wann, wie und für wen es die Saiten seiner ureigenen Biographie zum klingen bringt.
Romano-Lax verfaßt den Bogen des Cellisten von Andromeda aus der Perspektive der Hauptfigur Feliu Delargo, der zwar eine fiktive Gestalt, streckenweise jedoch eng an die Person des weltberühmten Cellisten, Dirigenten und Komponisten Pablo Casals angelehnt ist. In ihren das Buch abschließenden Anmerkungen geht die Autorin auf diese Ähnlichkeiten ein und gibt zugleich einen kurzen Einblick in die Entstehungsgeschichte ihres Romans. Eingebettet in die historischen Begebenheiten und Schrecknisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und gewürzt mit „Gastauftritten“ prominenter Persönlichkeiten aus Kunst und Politik jener Zeit humaner Krisen erhält der Roman eine Qualität des Realen, die sich wie aus einem diffusen Nebel menschlicher Irrwege erhebt und, trotz des unbestimmten (Mit)gefühls des Ausgeliefertseins, das einen bei der Lektüre fast zwangsläufig befällt, dem Licht entgegenstrebt. In konkret musikalischer Hinsicht schürft Andromeda Romano-Lax nicht allzu sehr in die Tiefe. Das wäre im Fall dieses absolut lesenswerten Romans, der nicht nur Bewunderer des sozial und politisch engagierten Starmusikers Casals ansprechen dürfte, allerdings auch eher fehl am Platz. Vielmehr begleitet die Autorin ihren Protagonisten und mit ihm die Leserschaft auf einer langen Reise von Verleugnung, Leidenschaft und Widerstand, an deren Ende die geistige Versöhnung mit dem antiheldenhaften Al-Cerraz steht sowie die Erkenntnis, dass Kunst allen Zweifeln zum Trotz ein universelles Phänomen von großer subversiver Macht ist.
Michaela Krucsay
Leoben, 14.03.2014