Rainer Nonnenmann: Der Gang durch die Klippen. Helmut Lachenmanns Begegnung mit Luigi Nono anhand ihres Briefwechsels und anderer Quellen 1957–1990. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2013. – 478 S.: s/w-Abb.,
ISBN 978-3-7651-0326-1 : € 54,00 (geb.)
Die von Rainer Nonnenmann sorgfältig und kenntnisreich gestaltete Dokumentation der „Begegnungen“ von Helmut Lachenmann mit Luigi Nono ist eine erhellende Darstellung der prekären Situation, in der sich derjenige befand, der nach 1950 Komponist – im strengen Sinne des Wortes – sein oder werden wollte. In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die akademische Ausbildung den aktuellsten Tendenzen der Neuen Musik noch vorwiegend mit Unverständnis gegenüberstand, war die freie Wahl einer integren Persönlichkeit essentiell für die Möglichkeit, eine eigene ambitionierte Position überhaupt erst zu erreichen. In der Aufarbeitung dieser Suche Lachenmanns liegt nun die Bedeutung dieser Publikation.
Als ordnender Rahmen des Bandes dient die chronologische Wiedergabe des 1957 einsetzenden Briefwechsels zwischen beiden Komponisten sowie anderer Zeugnisse, wie etwa Lachenmanns frühen und ausführlichen Rechenschaftsberichten an die ihn fördernde Studienstiftung des deutschen Volkes. Hinzu treten Äußerungen von Zeitzeugen, historisches Material sowie Lachenmanns mündliche Kommentare zu einer ersten Fassung des Bandes. Dieses Material verbindet Nonnenmann mit einer intensiven Kommentierung, die die zweite Hälfte des Bandes in dem Maße dominiert, wie der Kontakt zwischen Lachenmann und Nono ab dem Beginn der 1960er Jahre bis zum Tod Nonos 1990 zunehmend spärlicher wird und mehrmals über lange Zeit abbricht.
Liegt der Schwerpunkt dieser Texte auf der Biographie Lachenmanns, die hier beständig von ihrem ,Bezugspunkt‘ Nono her beleuchtet und analysiert wird, so treten doch dank der Präsentation der Gegenbriefe Nonos auch dessen politische Positionen und die damit verbundenen Idiosynkrasien gegenüber anderen als streng kommunistischen Haltungen deutlich hervor.
So reflektiert der Band das keineswegs unkomplizierte Verhältnis von Schüler und Lehrer, das sich bald in Freundschaft und zeitweise auch in Distanzierung verwandeln konnte. Zugleich werden die Auswirkungen deutsch-deutscher und internationaler Politik in Kontroversen unter Komponisten sichtbar, in denen kompositionstechnische Kategorien wie Ordnung, Reinheit und Zufall immer auch geschichtsphilosophisch verstanden wurden. Die alljährlichen Darmstädter Ferienkurse, die über lange Jahre das wichtigste Forum solcher Auseinandersetzungen darstellten, spielten dabei keine geringe Rolle, nahmen doch viele der Differenzen zwischen Nono und der westlich orientierten Avantgarde (wie etwa Stockhausen und Cage) dort ihren Ausgang, wo sie Lachenmann prägten, der als deutsches Sprachrohr Nonos zahlreiche von dessen Positionen überhaupt erst in Worte fasste.
So ist dieser Band nicht nur hinsichtlich seiner beiden Protagonisten jedem Interessenten an der Musik der Gegenwart zu empfehlen. Er kann – und sollte – auch als exemplarische Darstellung der Probleme und Tendenzen des Komponierens der Jahrzehnte nach 1945 gelesen werden, einer Zeit, in der scheinbar rein kompositionstechnische Fragen häufig unauflöslich mit der eigenen Haltung zur deutschen Vergangenheit verknüpft waren.
Markus Bandur
Berlin, 04.11.2013