Bermbach, Udo: Mythos Wagner – Berlin: Rowohlt, 2013. – 334 S.: zahlr. Abb.
ISBN 978 3 87134 731 3 : € 19,98 (geb., auch als e-book erhältl.)
„Richard Wagner ist ein Mythos“ (Einband). Wie es dazu kam, schildert Udo Bermbach, seines Zeichens Politologe und wohl bedeutendster Wagner-Forscher der Gegenwart, in seinem neuen, äußerst lesenswerten, sehr innovativen Buch mit großer Stringenz und hohem Sachverstand. Vorwiegend dienten Wagner Mythen als Grundlage seiner Werke. „Seit dem Fliegenden Holländer hat Wagner seine eigenen Mythen, also Kunst-Mythen, geschaffen“ (S. 19). Ausgehend von dieser Erkenntnis stellt Bermbach die Frage, „ob Wagners Mythos-Vorstellungen und Mythos-Verarbeitung sich auch auf seine eigene Person beziehen lassen“ (S. 21), und beantwortet diese mit einem eindeutigen Ja. In der Tat hat Wagner Zeit seines Lebens nachhaltig und durchaus planmäßig an der eigenen Mythisierung gearbeitet oder sich von anderen zum Mythos hochstilisieren lassen (vgl. S. 21). Neben in seiner Person liegenden Gründen wie beispielsweise dem ihm eigenen großen Charisma waren es insbesondere „seine weitausgreifenden Sendungsideen“ (S. 9) und die „Überzeugung, seine Kunst könne die Wunden einer entfremdeten Moderne heilen und in eine bessere Zukunft führen“ (S. 9), die ihn so bemerkenswert erscheinen ließen. Er „war bedingungslos von sich und seiner Mission überzeugt“ (S. 9). Das alles ließ ihn schon zu Lebzeiten zu einem Mythos werden. Hilfsmittel dazu waren die Verbreitung seiner Bilder und Photos, die Errichtung eines ihm treu ergebenen Freundeskreises und schließlich der Bau des Bayreuther Festspielhauses. Die Errichtung von Haus Wahnfried sowie die Gründung der Bayreuther Blätter zur Verbreitung seiner Ansichten trugen ebenfalls nachhaltig zur Mythisierung des Meisters bei. Auch seiner Rolle als Revolutionär kommt in diesem Zusammenhang zentrale Relevanz zu. Zutreffend erkennt Bermbach, dass Wagner seine alten revolutionären Ideen niemals aufgab und sie in seiner zweiten Lebenshälfte nur strategisch geschickt in ein gedankliches Gewand zu kleiden wusste.
Ausführlich erläutert Bermbach die Entwicklung des Mythos Wagner zum Mythos Bayreuth und beleuchtet zudem eindringlich die braune Einfärbung des Mythos durch den NS-Staat, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass Wagner in keinster Weise als geistiger Vorläufer der Nationalsozialisten gelten kann. Deren ideologische Grundlage war vielmehr der von Wagners Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain bewusst verfälschte, mehr eigenem Gedankengut als dem seines Schwiegervaters Rechnung tragende Bayreuther Gedanke, also „ein von Chamberlain bereits zurechtgestutzter Wagner“ (S. 263). Bermbach ist bisher der Einzige, der das so zutreffend erkannt hat. In ihm hat Wagner in dieser Hinsicht einen genialen Anwalt gefunden. Interessant sind auch die Ausführungen zum Aufkommen des Werkstattgedankens in Bayreuth nach dem Zweiten Weltkrieg durch Wieland und Wolfgang Wagner, mit dem „einerseits die vollständige Ablösung vom alten Mythos Wagner verbunden“ war (S. 299), andererseits aber auch ein „Mythosersatz“ (S. 299) geschaffen wurde. Heute hätten dies und die Versachlichung der Festspiele „dem Ort den Mythos weitgehend ausgetrieben“ (S. 313).
Das alles liest sich hervorragend und legt wieder einmal beredtes Zeugnis von den enormen Qualitäten des Autors ab. In einigen kleinen Punkten sind seine Ausführungen leider nicht ganz korrekt, diese Tatsache vermag den hohen Stellenwert dieser Publikation, die zu den besten des Wagner-Jahrs 2013 zählt, aber nicht zu schmälern. Die Anschaffung ist dringendst zu empfehlen.
Ludwig Steinbach
Kornwestheim, den 12.08.2013