Wolfgang Niedecken, der Südstadt-Dylan, der am 30. März 60 Jahre alt geworden ist, gratuliert seinem Vorbild, und wir stellen hier einige Bücher vor:
Shelton, Robert: Bob Dylan. No Direction Home – Sein Leben, seine Musik 1941 – 1978. Neu hrsg. von Elizabeth Thomson u. Patrick Humphries. – Hamburg: Edel, 2011. – 687 S., zahlr. s/w-Fotos
ISBN 978-3-8419-0065-4 : € 29,95 (geb.)
Solch ein Glück wünscht man sich als Musikjournalist … Du arbeitest in Greenwich Village, dort, wo Neues entsteht, nachdem der Rock ‚n‘ Roll zum Wehrdienst eingezogen wurde. In den Kneipen hörst Du Blues-Pioniere und Folk-Newcomer. Eines Abends, in Gerde’s Folk City, singt ein schmächtiger Mann mit Cord-Mütze vor Dir. Ein Virtuose an der Gitarre ist er nicht, die Mundharmonika hängt an einem verbogenen Kleiderbügel um den Hals. Und doch schreibst Du über ihn in der New York Times. Plötzlich passiert es: Der junge Mann bekommt einen Plattenvertrag; er wird zum Messias und zum Judas; stürzt vom Motorrad und mehrere Male vom Sockel; und noch immer hinterlässt er Spuren auf dem Rock-Olymp … Bob Dylan heißt der Mann, der dem Journalisten Robert Shelton sein Karriere verdankt.
Natürlich ist dies heillos übertrieben. Der Meister braucht keine Steigbügelhalter. Oft genug hat Dylan selbst seinen Weg an die Spitze beschrieben. Dass die biografischen Rückblicke bisweilen voneinander abwichen, hat ihn nie gestört. Seine Musik verändert sich schließlich auch ständig. Wen diese Selbststilisierung stört, der sollte bei Sheltons Werk vorsichtig sein. Denn No Direction Home ist das einzige Buch über Dylan, an dem dieser – laut Pressetext – aktiv mitgewirkt hat. Nach der wegweisenden Rezension von 1961 begleitete der 1926 geborene Folk-Spezialist Shelton den Musiker über mehrere Jahre hinweg. Dylan, unterstützte dessen Arbeit und machte ihn mit zahlreichen Zeitzeugen bekannt. 1977 schloss Shelton das Manuskript ab, es sollte aber noch eine weitere Dekade mühevoller Auseinandersetzungen mit Verlegern und Lektoren vergehen, bis das Werk 1986 erschien.
Bis heute gilt No Direction Home als eine der besten Abhandlungen über Dylans Karriere bis in die 1970er Jahre. Shelton betrat Neuland in der großformatigen Berichterstattung, weil er nicht Bob Superstar porträtierte, sondern den Menschen und Musiker in seinem sozialen und kulturellen Umfeld. Übereilte Schlussfolgerungen oder simple Charakterisierungen vermied er dabei. So kryptisch sich Dylan über die eigene Person äußert, so vorsichtig ist Sheltons Annäherung. Er interviewt den Musiker, hört Songs, liest Texte, zitiert Verwandte und Freunde, verknüpft Zeiten, Orte und Menschen – journalistisches Handwerk, möchte man meinen. In Sheltons Text aber ist dieser Prozess immer gegenwärtig – das Fazit überlässt er dem Leser. So leistet sich Shelton etwa eine sechsseitige Charakterstudie von Dylans Manager, der von anderen Autoren mit zwei Worten ausreichend beschrieben wäre. Diese Mühe sollte man nicht scheuen, will man Dylan näher kommen.
Zum 70. Geburtstag Dylans ist Sheltons Opus magnum in einer aktualisierten Auflage und zu einem fairen Preis neu erschienen. Einzelne Kapitel wurden – nach dem ursprünglichen Willen des Autors – umgestellt, die Chronologie ergänzt. Und dies in einer Aufmachung, die dem Verlagsnamen alle Ehre macht: Fast 700 Seiten in einem raumgreifenden, eleganten Layout, ikonographische Fotos, bronzene Kapitelseiten. Dieses Geburtstagsgeschenk sollte sich jeder Fan selbst machen.
Michael Stapper
München, 22. Juli 2011
Rosteck, Jens: Bob Dylan. Leben Werk Wirkung. – Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2006. – 147 S.: zahlr. SW-Fotos (Suhrkamp BasisBiographie ; 18)
ISBN 3-518-18218-8 : € 7,90 (Pb.)
Statt einer Rezension könnte an dieser Stelle auch eine kurze, auf drei Worte begrenzte Aufforderung stehen: Lesen, aber schnell! Da aber die maximale Zeichenmenge ausgefüllt sein will, soll der Empfehlung auch die Begründung folgen. Dass sich die Lektüre der neuen Bob-Dylan-Biografie von Jens Rosteck lohnt, davon könnte sich jeder Leser in nur wenigen Minuten selbst ein Bild machen. Diese Zeit reicht nämlich, um die Vorzüge der in Suhrkamps noch junger BasisBiographie-Reihe als 18. Band erschienenen Veröffentlichung zu erkennen: Ein Personen- und Werkregister, eine ausführliche Bibliografie, die thematisch getrennt deutsch- und englischsprachigen Primär- und Sekundärliteratur aufführt, ein Linkregister, das über die üblichen zwei Nennungen der offiziellen Homepages hinausgeht, ein modernes Layout mit farbig abgesetzten Zitatblöcken und sinnig eingefügten Fotos, ein Vorwort, das zwar kein neues Bild Dylans entwirft, aber mit kurzen und klugen Statements den Ausnahmemusiker so überzeugend skizziert, wie man es in der Popliteratur selten findet. Auch die inhaltlich-formale Teilung des Textes in die drei Blöcke „Leben“, „Werk“ und „Wirkung“ ist klug gewählt und spiegelt so den Facettenreichtum des Künstlers und seinen Einfluss auf die populäre Kultur adäquat wider.
Doch weit über das verlegerische Konzept hinaus, ist es auch und vor allem der Textgehalt des Bandes, der überzeugt. Der Musikwissenschaftler Jens Rosteck, geschult an den Biografien so unterschiedlicher Künstler wie Paul Bowles oder Kurt Weill, weiß sich auf sinnvolle Art zu beschränken, ohne die wichtigen Stationen und Details aus Dylans Leben und Werk zu vernachlässigen. Diese Einzelteile verbindet Rosteck sprachstilistisch so geschickt, dass durchaus Bekanntes (wie sollte es bei einem Künstler wie Dylan auch anders sein?) durch die fachlich versierten Redenwendungen, Umschreibungen und Interpretationen nicht als Redundanzen, sondern als gehaltvolle Informationen wahrgenommen werden. Seinen (musik-)wissenschaftlichen Hintergrund verheimlicht der Autor dabei nicht; er läuft aber auch nicht Gefahr, seine Aussagen akademisch-kryptisch zu verschleiern und sie so der Nachprüfbarkeit zu entziehen. Als besonders gelungen kann man die Werkschau im mittleren Teil des Bandes bezeichnen, in der einzelne Charakteristika aus dem unübersichtlich großem Œuvre Dylans zur Sprache gebracht werden. Hier kommt dankenswerter Weise der musikologische Background des Autors voll zum Tragen, und als Leser wünschte man sich, nicht nur eine Basis-Biografie vorliegen zu haben.
Was also bleibt, ist die Reprise der Einleitung, die angesichts des fantastischen Preis-Leistungs-Verhältnisses mit Nachdruck deklamiert werden soll: Lesen, aber schnell!
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S.
Klein, Richard: My Name It Is Nothin’. Bob Dylan: Nicht Pop, nicht Kunst. – Berlin: Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, 2006. – 397 S. : Abb.
ISBN 3-936872-45-7 : € 24,90 (geb.)
Leicht hat es Bob Dylan seinen Fans nie gemacht. In den 1960er Jahren setzte er seine Gitarre unter Strom und musste sich als „Judas“ beschimpfen lassen. Ähnlich heftig
waren die Reaktionen, als ihm sein Übertritt zum christlichen Glauben übel genommen wurde. Dieses Handeln wider die Erwartungshaltung mag bei Dylan künstlerisches Konzept sein, doch hat es sich wohl auch Richard Klein in der vorliegenden Untersuchung über des Meisters Werk zu eigen gemacht. Leider, mag man fast sagen, denn nach der Ankündigung auf dem Buchumschlag, die „erste kritische Gesamtinterpretation von Bob Dylans Werk in deutscher Sprache“ läge hier vor, muss konstatiert werden, dass die literarische Umsetzung nicht durchgängig gelungen ist.
Nun ist, um dies vorwegzunehmen, am Inhalt überhaupt nicht rumzumäkeln. Der Autor, publizistisch geschult an musikalisch-intellektuellen Schwergewichten wie Adorno und Wagner, wendet sich mit großer Fachkenntnis und Überzeugung seiner Jugendliebe Dylan zu. Kleins Wissen um die Sekundärliteratur (leider nur in den Fußnoten, aber nicht im Anhang gelistet) ist immens, seine kritische Distanz zu grossen Popjournalisten wie Greil Marcus bezeichnend und erfrischend. Form und Sprache jedoch, die einem zutiefst wissenschaftlichen Gestus verschrieben sind, stehen der Inhaltsvermittlung entgegen. Dies wirkt besonders schwer, weil Klein sich mit zwei großen Problemen konfrontiert sah: Weder gibt es in der Dylan-Forschung an klassischer Musikwissenschaft orientierte Vorlagen, noch bietet die Musikliteratur genügend grundlagenerforschte Werke, die sich mit der Popularmusik beschäftigen. Dies muss Klein immer wieder bedauernd feststellen, vor allem, wenn er sich dem Hauptaspekt der Untersuchung, der „Theorie der narrativen Stimme“ (Klappentext) bei Dylan zuwendet.
Richard Klein verlangt dem Leser also einiges ab, wenn er mit ihm grundlegende Themen erst langsam einkreist, um die Erkenntnisse dann auf das Werk Dylans anzuwenden. Wer sich jedoch auf die oftmals verschlungenen Pfade begibt, wird mit äußerst lehrreichen und interessanten Thesen belohnt. So ist die Analyse des „Judas“-Skandals ebenso lesenswert wie die Deutung der Gospelphase, die Klein entgegen landläufiger Meinung als einen Höhepunkt in Dylans Schaffen wertet. Dass Klein zur Erläuterung seiner Thesen nicht der weitschweifigen Form bedürfte, beweist er wiederholt (v. a. auch in den Fußnoten). So fasst er Dylans ständiges Spiel mit der Erwartungshaltung in einer überzeugender Kürze zusammen, die man sich öfters gewünscht hätte (S. 180f). Fazit bleibt, dass Klein dem Anspruch, eine kritische Gesamtinterpretation von Dylans Werk vorzulegen, gerecht geworden ist – wenn auch nur für denjenigen, der bereit ist, sich auf die wissenschaftliche, bisweilen schwer verständliche Sprache einzulassen.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006)