Danuser, Hermann: Weltanschauungsmusik. – Schliengen: Edition Argus, 2009. – 501 S.: zahlr. Abb., Notenbsp.
ISBN 978-3-931264-75-8 : € 59,00 (geb.)
Ein gelehrtes Buch. So gelehrt, dass man als Rezensent stets fürchten muss, ihm durch eine etwa allzu parteiische Stellungnahme nicht gerecht zu werden. Ohne apologetischen Aufwand gelingt es dem Autor, Einwände, Hinweise auf Kehrseiten der Medaille oder Zwickmühlen in der Terminologie und der Argumentation durch seine alles schon mitbedenkende Weitsicht und Konzilianz zu entwaffnen. Trotzdem liegt gerade in dieser alles mit allem relativierenden Unschärfe ein Einfallstor für Kritik. Denn man darf fragen, warum der Autor so unverdrossen und seelenruhig die verstiegensten und abstrusesten Theorien über Musik, die abenteuerlichsten Selbstverständnisse und Absichten von Komponisten einfach unkritisch referiert, erläutert und begründet – und überhaupt so überaus interessant findet. Hier ästhetisiert kein Musiker oder Musiktheoretiker etwas aus der Musik heraus, sondern philosophische (meist sogar nur philosophisch getarnte religiöse) Axiome werden auf Musik projiziert, analog den erklärten Absichten der Komponisten. Legitim ist das allemal. Aufkommendes Unbehagen bei intelligenten Lesern oder Hörern jener Musik, die hier verhandelt wird, wird zwar mitbedacht, nie aber taucht die Frage ernstlich auf, was der Musik und dem einzelnen Kunstwerk widerfährt, wenn sie mit Weltanschauung be- und überfrachtet werden. Normalerweise nennt man das Edelkitsch – hier aber genießt es den Rang auktorialer und autoritativer Vergeistigung.
Affirmativ und von seinem Gegenstand fasziniert, verfolgt Danuser (seit 1993 Professor für Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin) ein zugestandenermaßen zeitlich und national beschränktes Phänomen der Musikgeschichte: Werke der deutschen Tonkunst von Bach bis Schönberg, die nicht nur ihrer klanglichen Gestalt genügen wollen, sondern sich als Ideenträger und Transporteure von Botschaften, meist menschheitsbeglückenden oder apokalyptischen Charakters, aufspielen, werden zum Anlass feinsinnigster, selbst den Zweifel sanft integrierender Analysen gemacht. Ein Kompendium und eine Fundgrube von Entweder-Oder- und Sowohl-als-auch- Argumenten bietet dieses Panorama der idealistischen Musikauffassung, die der Autor eine „Strömung“, eine „Kunstidee“ nennt, die er aber zugestandenermaßen nicht etwa nur vorfindet, sondern diskursiv mitformen und fixieren will und von der er hofft, dass sie uns erhalten bleibt und der Forschung auch in Zukunft weitere Nahrung bietet. Es ist völlig aussichtslos, dagegen etwas zu sagen – wer diese Musik und diese Art, über Musik zu sprechen, nicht mag und sie für ein Missverständnis hält, wird sich einfach abwenden und den Dingen ihren Lauf lassen, denn vermutlich hat Danuser Recht, dass diese musikreligiöse Illusion eine Zukunft hat: Sie kommt einem menschlichen Bedürfnis nach Musikhören mit ideologischem Geländer entgegen. Das in sechs bezeichnende, thematisch definierte Kapitel (Gemeinschaft, Bildung, Religion, Heldentum, Liebe, Allnatur) unterteilte Buch ist, abgesehen von seinem lastenden Inhalt, ein bibliophiler Genuss und kann durch ein vorzügliches Personen- und Werkregister und dokumentarische Abbildungen als praktisches Nachschlagewerk für alles, was in der Musik nach Höherem strebt, benutzt werden.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 282f.