Jascha Nemtsov: Oskar Guttmann (1885–1943) und Alfred Goodman (1919–1999)

Alfred GoodmanNemtsov, Jascha: Oskar Guttmann (1885–1943) und Alfred Goodman (1919–1999). – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2009. – 62 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 89)
ISBN 978-3-941450-13-4 : € 5,90 (kart.)

Dieses Büchlein des russischen Pianisten und Musikhistorikers Nemtsov legt mit Be­dacht das Schwergewicht auf den völlig in Vergessenheit geratenen Guttmann den Äl­teren, der so stark in der deutschen Kultur verwurzelt war, dass er ihren von den Na­zis erzwungenen Verlust nicht verschmerzen konnte. Seine Illusionen hielten ihn in Deutschland, bis es zur Emigration fast schon zu spät war. In den USA konnte er kei­ne neue Heimat mehr finden. Auch seine Frau Paula Guttmann wird nicht nur er­wähnt, sondern als Sängerin und Pianistin in ihrer künstlerischen Kreativität vorge­stellt. Im Archiv des Deutschlandsenders war in der ersten Rundfunkeinspielung von Schönbergs Buch der hängenden Gärten ihre Stimme festgehalten. Im Archiv des Je­rusalemer Rundfunks existierten Bänder oder Aufführungsmaterialien des jüdischen Schöpfungs-Oratoriums B’reschit Oskar Guttmanns. Denn nach seinem Musikstudi­um in Berlin bei Kretzschmar und in Leipzig bei Riemann, einer Kapellmeisterstelle in Königsberg, Rundfunktätigkeit in Breslau, Lehrtätigkeit am Sternschen Konserva­torium wieder in Berlin und immer und überall: Mit scharfzüngiger Musikkritik in berühmten Zeitungen wandte sich Guttmann der Erneuerung jüdischer Musiktraditi­onen zu – durchaus im Sinne des zionistischen Nationalismus und mit der fixen Idee, aus den rekonstruierbaren Resten althebräischer Melodien so etwas wie eine neue ge­nuin jüdische Musik zu erzeugen. In den Jahren nach 1933 war er ganz mit synagogaler Musik, mit Kantorenausbildung und mit seiner Arbeit im Jüdischen Kulturbund be­schäftigt. Dreimal wurde B’reschit aufgeführt: 1937 in Berlin, 1940 in New York und 1942 in Jerusalem und doch ist die Komposition bis heute „verschollen“. Auch seine großangelegte Kantate An American Trilogy nach Texten der Bibel, einer Lincoln-Rede und einer modernen amerikanischen Paraphrase des platonischen Schiffstaats ist noch nicht wieder aufgefunden. Aber ein orientalischer Liederzyklus nach Gedichten von Hafis aus dem Jahre 1930 ist erhalten. Auf eine Suche nach nationalen Verwurzelungen, sei es in deutscher oder jüdischer Kultur, wollte sich Guttmann junior, der sich dann Goodman nannte, gar nicht erst einlassen. Verzweiflung, Sarkasmus und Ironie seines Vaters hatten ihn belehrt. Er komponierte von vornherein kosmopolitisch und da, wo er Sentimentalitäten und be­kenntnishaftem Komponieren nachgab, war es ihm hinterher peinlich. Er war ein skeptischer Remigrant, wirkte seit Anfang der 60er Jahre erfolgreich in München, kreuzte U- und E-Musik, die speziell die Deutschen immer noch so fein säuberlich zu trennen suchen. In mancher Musikbibliothek steht vielleicht noch eines seiner ein­bändigen Musiklexika (Musik von A bis Z oder Wörterbuch der Musik) aus den 60er Jahren. Aber sein Leben und Werk ist, verglichen mit dem seines Vaters, relativ gut dokumentiert und wenn man aufpasst, hört man sogar ab und zu eine seiner luziden Kompositionen.
Man möchte meinen, diese Miniaturen sollen nur ein flüssig und anregend ge­schriebener erster Einblick in eine größere Geschichte sein, die nach weiteren Recher­chen noch mal genauer erzählt werden müsse.

Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 62f.

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