Hans-Josef Irmen: Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke Engelbert Humperdincks [Georg Günther]

Irmen, Hans-Josef: Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke Engelbert Humperdincks. Neuaufl.– Köln: Dohr, 2014. – 215 S.: zahlr. Notenbsp.
ISBN 978-3-86846-122-0 : € 98,00 (geb.)

Dass Hänsel und Gretel seit seiner Uraufführung in Weimar am 23. Dezember 1892 (übrigens unter der Leitung keines Geringeren als Richard Strauss) bis heute zu den größten Opernerfolgen der Musikgeschichte gehört, ist für seinen Urheber rückblickend fast mehr ein Fluch als ein Segen, weil dadurch der Blick auf das weitere Schaffen Engelbert Humperdincks nahezu völlig verstellt wird. Besonders anhand der größeren Musiklexika konnte man sich zwar vergewissern, dass er beispielsweise noch weitere Bühnenwerke (darunter die wenigstens gelegentlich gezeigten Königskinder), Lieder, Kammer- und Klaviermusik und Orchesterwerke komponiert hat, doch handelt es sich dabei nur um substanzarme und wirkungsgeschichtlich folgenlose Listen.
Zu Engelbert Humperdincks 140. Geburtstag hatte die Enkelin des Komponisten, Eva Humperdinck, immerhin ein Werkverzeichnis vorgelegt (Der unbekannte Engelbert Humperdinck; Koblenz: Görres, 1994; Zitiersigel: EHWV) und dessen eindrucksvolles Gesamtschaffen in 170 chronologisch angeordneten Einträgen (mit Skizzen, Plänen und anderem zu insgesamt 241 Nummern ergänzt) erstmals dokumentiert. Während die Rahmeninformationen hier trotz aller Kürze bereits recht umfassend sind (darunter etwa die Entstehungszeit, Besetzung, Widmungen oder Uraufführung, die Fundorte der Autographe und bei gedruckten Werken die bibliographischen Angaben), fehlen jedoch als wichtige Orientierungshilfe die Notenincipits, durch die der musikalische Charakter eines Stückes wenigstens in Umrissen erkennbar wird, und auch sonst blieben einige Wünsche offen.
Zum 150. Geburtstag veröffentlichte dann Hans-Josef Irmen im eigenen Verlag (Zülpich: Prisca, 2005) eine „in vierzig Jahren zusammengetragene Sammlung von bibliographischen Informationen“, die nun ein merklich umfassenderes und durch Notenbeispiele erweitertes Werkverzeichnis bilden. Hinzu kommen auch hier die Nachweise von Humperdincks Tätigkeit als Bearbeiter (neben seinen bekannten Wagner-Arrangements beschäftigte er sich außerdem mit einigen anderen Komponisten – darunter Joseph Haydn, Charles Gounod oder bemerkenswerter Weise Johanna Kinkel), seiner Skizzen, Studien- und Lehrbücher sowie anderer Schriften (etwa Rezensionen oder kleinere musikästhetische Abhandlungen). Die verschiedenen Bestandteile sind übersichtlich dargeboten, und Irmen geht nun mehr ins Detail, etwa bei der Beschreibung der Autographe, über deren Charakter bei seiner Vorgängerin noch nichts zu erfahren war. Gleichwohl kann seine Arbeit mit den opulenten Dokumentationen über das Schaffen Ludwig van Beethovens oder Robert Schumanns nicht konkurrieren, in die weitere zeitgenössische Quellen einbezogen sind, und doch erfüllt Irmen die berechtigten Erwartungen an ein solches Kompendium völlig.
Irmens Humperdinck-Werkverzeichnis ist jetzt in einer Neuausgabe erschienen, die durch den bekannteren Verlag mehr Aufmerksamkeit finden dürfte. So verdienstvoll diese Wiederveröffentlichung auch ist, so befremdet es jedoch gleichzeitig, dass die vergangenen neun Jahre darin keinerlei wissenschaftsgeschichtliche Spuren hinterlassen haben: „Der Werkverzeichnis-Teil wurde vom Inhalt her unverändert übernommen (Inhaltsverzeichnis), jedoch redaktionell überarbeitet“ (Hinweis im Impressum) – es ist noch zu ergänzen, dass dies bedauerlicherweise auch für die Literaturangaben gilt. Doch trifft den Autor keine Schuld, da Irmen 2007 verstorben ist (zur Klärung dieses Sachverhalts hätte man wenigstens eine biografische Notiz einrücken sollen). Gerade weil aber anzunehmen ist, dass die Humperdinck-Forschung seit 2005 keine ganzen Bibliotheken füllt, wäre die Aktualisierung sicher eine überschaubare Arbeit gewesen, für die man allerdings einen Spezialisten benötigt hätte. Übrigens sind die einzelnen Werkeinträge davon wohl kaum betroffen, weil einmal geklärte Daten schließlich ihre Gültigkeit behalten. Bei der kritischen Durchsicht hätten außerdem noch kleinere Defizite behoben werden können, etwa im Bereich der Textverfasser – so enthält Humperdincks nationalistische Spieloper Die Marketenderin Gedichtvertonungen von Theodor Körner, was nachzuweisen wäre.

Georg Günther
Stuttgart, 06.12.2014

 

Engelbert Humperdinck

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