Dedekind, Henning: Krautrock – Underground, LSD und kosmische Kuriere. – Höfen : Hannibal, 2008. – 312 S.: 48 s/w- u. 10 Farbabb.
ISBN 978-3-85445-276-8 : € 24,90 (Hc)
„Ist die Krautrockrevolution gescheitert?“ fragt Dedekind im Prolog. Dies scheint nicht der Fall zu sein, denn das steigende Interesse an jenem bundesrepublikanischen Musikphänomen ist an der Vielzahl von jüngeren Musikern aus unterschiedlichsten Ländern zu erkennen, die sich darauf berufen und davon inspirieren lassen, an den hohen Preisen, die die Originalschall-LPs erzielen, und an den vielen Publikationen zum Thema. Das erste Buch mit dem Namen Kraut-Rock erschien 1976 in der Serie der Bravo-Bücher, sein Autor, ein Herr Niedergesäss, berichtete auf 119 Seiten über die wichtigsten Bands. Sozusagen unglücklich auf den Hintern gefallen war Gerhard Augustin, der selbsternannte „Pate des Krautrock“, der die Leser in seinem 2005 erschienenen gleichnamigen Buch mit einer schwer verdaulichen Selbstdarstellung konfrontierte, indem er am Thema vorbei eine Privatabrechnung mit Personen des Musikbusiness betrieb. Als guter kosmischer Kurier präsentierte sich der Engländer Julian Cope mit seinem 1995 erschienenen Buch Krautrocksampler, ihm gelang es ein Buch zu schreiben, das den Krautrock nicht nur thematisierte, sondern das in seiner naiv-begeisterten Kompromisslosigkeit und Distanzlosigkeit selbst ein Stück „Krautrock“ war.
Dedekind muss sich an solchen Werken messen lassen. Seine Schrift basiert hauptsächlich auf Gesprächen mit 21 Musikern und Zeitzeugen. Das Buch besteht aus 6 Teilen und einer 63-seitigen Auflistung wichtiger Bands inkl. Diskografie. Angesichts der Differenziertheit und Komplexität der Szene können in einer einzigen Publikation nicht alle Personen und Aspekte berücksichtigt werden, erfreulicherweise verzichtet Dedekind auf einen derartigen Versuch und konzentriert sich auf die Quellen, die ihm im Rahmen einer zweieinhalbjährigen Recherche zur Verfügung standen. Als Resultat finden sich viele Detailinformationen, die so noch nicht zu lesen waren. Insofern sind die anekdotenreichen Insider-Aussagen der befragten Interviewpartner der eigentliche Gewinn des Buches und machen es zu einer sehr lesenswerten Dokumentation, auch wenn der Autor strukturell einem oft benutzten, Muster folgt: von der Vorgeschichte im Nachkriegsdeutschland über die Versuche der Selbstfindung und des Experimentierens angesichts amerikanischer Einflüsse, bis zu Formen alternativer Gegenkultur und den Zwängen des Musikgeschäftes. Alles ist kenntnis- und kontextreich ermittelt.
Der abschließende Teil des Buches zum „Niedergang und Ende“ angesichts des Abflauens der revolutionären musikalischen und gesellschaftlichen Bestrebungen und einer verwässernden Kommerzialisierung einiger konsum-kompatibler Krautrock-Klone eröffnet ein interessantes Feld, das im Buch viel zu kurz kommt. Dedekind hat ein wohlschmeckendes Krautsüppchen serviert, das Appetit auf mehr macht. Nachschlag bitte!
Manfred Miersch
Zuerst veröffentlicht in FM 29 (2008), 3